Foto: "Weltkrieg für alle", das neue Stück John von Düffels in Wiesbaden © Kaufhold
Text:Björn Hayer, am 19. Mai 2014
Gezeugt 1968 auf einer Hausparty, aufgewachsen bei einer pazifistischen Hippie-Großmutter (Monika Kroll) und einem postraumatisierten Veteranen (Rainer Kühn) des ersten Weltkrieges, der geistig in den Schützengräben des Jahrs 1919 stecken geblieben ist, und als Teenager in die deutsch-deutsche Identitätskrise geworfen: Das ist Josch K. (Fabian Stromberger), der Protagonist in John von Düffels Farce „Weltkrieg für alle“.
Leicht hat es dieser pubertierende Sprössling inmitten seiner durchgekallten Verwandtschaft wirklich nicht. Umso mehr setzt Regisseur Tobias Materna in Wiesbadener Uraufführung des vor Slapstick nur so sprudelnden Klamauktextes mit bildstarkem Spektakel noch einen drauf: Statt Figuren zeichnet er Karikaturen, seine Bühne (Martina Stoian) trumpft mit einer bombastischen Requisite nach der anderen auf – und das Ganze gelingt ihm recht erfolgreich. Während die Vorlage des Autors mehr seicht als klug einen turbulenten Ritt durch die unfriedlichen Irrungen des 20. Jahrhunderts unternimmt, zieht man in der Hessischen Landeshauptstadt alle Register, um daraus das beste zu machen.
Vor allem eine Szene bietet umwerfendes Amüsement und hat das Zeug zum Kultcharakter: Als Josch – das allegorische Sorgenkind Deutschland – zwischen die Fronten des Kalten Kriegs gerät, demontiert Materna mit sarkastischem Geschick die ideologischen Zementblöcke. An Weihnachten lockt zunächst Väterchen Frost, ein kommunistischer Sowjetfunktionär mit hagerer Statur und Pelzmütze, ebenso herausragend gemimt von Rainer Kühn, zum Genosseneid. Dann kommt aber schon Ronald McReagon (brilliant: Michael Birnbaum) in Stars-and-Strips-Kostüm, mit Cowboy-Coolness und American Slang durch die Wand gedonnert, um den verwirrten Jüngling zur guten Seite der Macht zu bekehren. Zur Belustigung folgt ein Kampf der Giganten: Während der eine mit einer riesigen Micky-Mouse-Puppe aufwartet, kontert der Russe mit einer menschengroßen Mamuschka. Im Wettrüsten zwischen Plastik-Pershing und grüner Mega-Pistole erhitzen sich buchstäblich die Gemüter: Dem inzwischen aufgeblähten Sozialisten wird dies zu heiß, bis er schließlich zum Zwerg einschmilzt und –schrumpelt.
Somit wird viel geblödelt und gekalauert, dies aber auf anregendem Niveau. Dass sich hinter alledem eine ernste Botschaft verbirgt, wird spätestens deutlich, nachdem man am Ende nur knapp dem dritten Weltkrieg entgeht. Dem Kriegsveteran, den alle bis dato nur als Kaspar wahrnehmen, gebührt schließlich doch späte Genugtuung. Mit roter Kerze steht er in der letzten, ansonsten dunklen Szene als der Mahner auf der Bühne. Lustiges Spiel, ernstes Finale: Die Gewalt war nie Geschichte und auch kein individuelles Trauma, sondern wirkt unentwegt in der menschlichen Geschichte.