Foto: Floriane Kleinpaß, Silvia Weiskopf © Thilo Beu
Text:Stefan Keim, am 4. Februar 2013
Sie wirken wie die kleinen Schwestern von Wladmir und Estragon. Allerdings glauben sie an keinen Godot, der irgendwann kommen wird. Woden und Mimi überleben in einer durch Krieg zerstörten Welt. In schwarzen Plastiksäcken ziehen sie die Leichen ihrer ermordeten Eltern hinter sich her wie der Original-Django von Sergio Corbucci seinen Sarg. Um die Hoffnungslosigkeit zu ertragen, erzählen sie sich Witze, immer dieselben, und werfen die kahlen Köpfe in den Nacken zu einem heiseren Keuchen. Das gibt ihnen Trost. Der US-Amerikaner Noah Haidle erzählt in seinem Stück „Skin Deep Song“ eine finstere Zukunftsvision. Und feiert zugleich das Spiel als eine Tätigkeit, die auch in völliger Sinnlosigkeit den Menschen Halt gibt. Wooden und Mimi stellen nach, wie ihre Eltern erschossen wurden und freuen sich, wenn eine von ihnen Mutters oder Vaters Tonfall so gut trifft, dass sie für einen Moment wieder lebendig wirken.
Auch ihr Großvater spielt noch mit. Mit einer Krone auf dem Kopf, mit Windel und fleckigem Bademantel stolpert er durch die Szene, ein entmachteter Monarch, ein Schatten König Lears. Der alte, mit großer Würde von Heiner Stadelmann verkörperte Mann ist dement. Das Spiel ist für ihn pures Sein, seine Enkelkinder spielen bewusst. Dennoch verschaffen sie sich gemeinsame Momente, in denen sie es aushalten können, noch nicht tot zu sein. Noah Haidle verbindet viele Anklänge an europäisches Theater – die Rätselhaftigkeit der Charaktere erinnert an Jon Fosse, die leise Wehmut an Tschechow – mit typisch amerikanischen Elementen. Er ist auch ein Erzähler und Entertainer. In Rückblenden erzählt Haidle von einem seltsamen Ball, bei dem die Schwestern erstmals mit einem Mann tanzen dürfen. Die Eltern werden wieder lebendig. Vor allem der Vater bleibt im Gedächtnis, ein gewissenloser, eiskalter Unternehmer vom Schlage eines J. R. Ewing mit dem perfekten Rhythmusgefühl eines Patrick Swayze in „Dirty Dancing“. Tom Gerber spielt diese Rolle mit grandios rattiger Coolness, während Floriane Kleinpaß und Silvia Weiskopf die Schwestern mit einer Menge Zwischentöne ausstatten, so dass viel Mitgefühl für diese verlorenen Teenager entsteht.
Regisseur Thomas Krupa hat das Stück auch übersetzt. Er inszeniert in einer heruntergekommenen, ehemaligen Essener Tanzschule. Die Decke ist voller Löcher, überall liegt Schutt herum, Glitzervorhänge erinnern an bessere Zeiten. Ein Beamer strahlt sein Licht in wirbelnden Theaternebel hinein, so dass ein Rauchtunnel entsteht, in dem die Schauspieler schemenhaft auftauchen. Das schafft eine zwingende Atmosphäre und ist ein großartiges Bild für den Wechsel zwischen den Zeiten. Noah Haidles Texte verlangen so eine filmische Inszenierung. Der Rückblendenball wirkt, als habe David Lynch „Vom Winde verweht“ inszeniert. Der Suhrkamp Theaterverlag hat ein ganzes Paket von Texten Noah Haidles gekauft. Zu Recht, denn dieser Autor hat großes Potenzial.