Foto: "Kommt ein Pferd in die Bar" bei den Salzburger Festspielen. Samuel Finzi, Mavie Hörbiger © Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig
Text:Anne Fritsch, am 9. August 2018
„Kommt ein Pferd in die Bar“ – so fängt ein Witz an, der damit endet, dass der Barkeeper fragt: „Warum so ein langes Gesicht?“ Wenn man so will: ein kleiner Witz über die Traurigkeit, die immer mit von der Partie ist. Nach diesem Witz hat der israelische Autor David Grossman seinen Roman über einen, der Witze macht, um nicht am Leben zu verzweifeln, genannt. Sein Protagonist, Dov Grinstein, ist Entertainer, Stand-Up-Comedian. Sein Job ist es, andere zum Lachen zu bringen. Dieser Job ist gewissermaßen das Gegenteil einer Therapie, ein konstantes Nicht-Daran-Denken, ein Trotzdem-Lachen. Dov ist groß geworden als Kind im jungen Staat Israel; als Kind zutiefst verängstigter und unsicherer Eltern, die als einzige in ihren Familien den Holocaust überlebt hatten; als Kind ohne Verwandtschaft.
Die Idee, diesen Roman für die Bühne zu adaptieren, liegt nahe, spielt er doch bereits mit der Bühnensituation: „Kommt ein Pferd in die Bar“ erzählt einen Auftritt Grinsteins im Küstenort Netanja. Allein: Es ist ein Roman über einen Alleinunterhalter, dem die Zuschauer davon laufen – da wird es konzeptionell schon schwieriger mit der Adaption. Denn um die Geschichte nachvollziehbar zu erzählen, muss einer gezeigt werden, der sein Publikum vergrault. Weil der Frontalangriff seine einzige Möglichkeit ist, sein Inneres zu schützen, den Schmerz zu übertönen. Dieser Grat zwischen Publikumsvergraulung und -verführung ist es, mit dem auch Regisseur Dušan David Parízek zu kämpfen hat, der den Text jetzt bei den Salzburger Festspielen (als Koproduktion mit dem Burgtheater Wien und dem Deutschen Theater Berlin) inszeniert hat.
Er lässt den Abend im Salzburger republic so leicht beginnen wie ein guter Abend in einer Bar eben beginnt. Samuel Finzi steht in Hemd und Anzug, mit Cowboystiefeln, einer goldenen Plastikkrone und dunkler Sonnenbrille neben dem Musiker am Klavier, improvisiert ein Medley aus Klassikern von „Stand by me“ über „Que cera“ bis hin zu Frank Zappas „Bobby Brown“. Chillig. Lässig. Cool. Als das Publikum versammelt ist, legt er los. Eine Zote jagt die nächste, er freue sich auf einen Abend in diesem „kulturellen Entwicklungsland“. Seine Kinder liebe er so, dass er für jedes eine eigene Mutter besorgt habe; über seine eigene Zeugung dagegen habe er sich viele Gedanken gemacht, fällt sie doch zusammen mit dem Sinai-Feldzug: Ist er etwa das Ergebnis einer Vergeltungsaktion? Wie Finzi dann die eigene Zeugung als Solo nachspielt, das ist schon ein wahnsinnig bescheuerter und genauso witziger Moment. Hin und her gerissen zwischen der Eitelkeit einer „Publikumshure“ und einer nicht kleinen Portion Selbstverachtung, hangelt dieser Dovele sich durch seine Show.
Doch diese entgleitet ihm zunehmend, gerät etwas „alternativ“. Nicht nur, weil er statt harmloser Witze immer wieder in die eigene tragische Familiengeschichte rutscht, sondern auch, weil an diesem Abend Pitz im Publikum sitzt: das kleine Mädchen von nebenan, das Dovele als Kind auf den Händen durch die Straßen laufen sah und noch immer große Sympathien für den etwas anderen Jungen hegt. Pitz lässt ihm seine Verdrehungen der Wahrheit nicht durchgehen: „So war es nicht“, sagt sie mehr als einmal. Und dass er „ein guter Junge“ war. Mavie Hörbinger spielt die Pitz mit einer großen In-Sich-Gekehrtheit. Sie macht den Schmerz sichtbar, den er zu verbergen sucht, zwingt ihn durch ihre leise Anwesenheit, sich der Vergangenheit zu stellen und sich zu erinnern.
Die Geschichten, die so nach und nach aus der Verdrängung kommen, sind es wert, gehört zu werden. Schade, dass nicht wenige Zuschauer vergrault werden mussten, bevor dieser Abend zum Kern der Geschichte vordringt. Zu dem Ferienlager, in dem Dov erfuhr, dass er zu einer Beerdigung müsse, ihm aber niemand sagte, wer gestorben sei. Zu der Fahrt nach Hause, in der seine Gedanken zwischen Mutter und Vater hin und her wanderten, von denen einer wohl tot war. Zu dem Fahrer, der ihm die ganze Fahrt über Witze erzählte, um von der Tragödie abzulenken – und damit den Grundstein für Dovs Zukunft legte. Samuel Finzi filmt sich selbst, während er in seine Kindheit zurückkehrt, verdoppelt sich und spaltet sich optisch ab von seiner schmerzhaften Vergangenheit. Zunehmend lassen die Witze nach, der echte Dov wird sichtbar. Und auch, wenn der Abend phasenweise etwas konstruiert wirkt: Das Durchhalten lohnt sich, denn was Finzi hier vollbringt, ist wirklich großes Schauspielertheater.