Foto: Der Kinderchor des Peter Cornelius Konservatoriums © Andreas Etter
Text:Björn Hayer, am 29. August 2018
„Das letzte Parlament“ von Björn Bicker am Staatstheater Mainz
Ein Stück mit dem Titel „Das letzte Parlamente (Ghost Story)“ ruft schon eine ganz bestimmte Erwartung hervor. Es wird wahrscheinlich wieder einmal um die „AfD“ gehen. Und so kommt es dann auch in Brit Bartkowiaks Inszenierung von Björn Bickers satirischer Abrechnung mit dem Zustand der deutschen Demokratie. Statt – wie gewohnt – das Treiben auf der fernen Bühne zu verfolgen, versetzt uns das Staatstheater Mainz mitten in die Arena, genauer: in den Mainzer Landtag, wo wir entweder direkt im Plenum oder auf der oberen Tribüne Platz nehmen. Man sitzt sowohl zwischen einigen echten Politikern aus Rheinland-Pfalz als auch „gefakten“, die schon bald die Mikrofone ergreifen werden.
Gespielt von Elena Berthold, Vincent Doddema und Klaus Köhler, stellen sie, allesamt geisterhaft blass geschminkt und im blauen Anzug, austauschbare Volksvertreter dar. Mal klagen sie über ihre innere Leere, ein andermal über ihren Egoismus, sie dreschen fade Betriebsphrasen, reden sich bisweilen um Kopf und Kragen oder heucheln ihre Berührung vor – vor allem dann, wenn der bunte Kinderchor immer wieder auftritt, der für den Erhalt einer dörflichen Zwergenschule demonstriert. Ihnen gegenüber steht auf der Tribüne der Club der rüstigen Rentner, eine gleichnishafte Wir-Formation aus Wutbürgern und Rechtsnationalen.
Mit ihrem Gebrüll gegen Ausländer und Fremde kommt Dynamik in die Aufführung. Es wird im Laufe dieses Abends lauter, schriller. Ebenso die Elektroklang-Kulisse geht ins Crescendo über, bis die verängstigten Politiker sich selbst zu den Anwälten des Hasses erklären und Sätze wie „Wir vergiften alles“ artikulieren. Und während sich die Stimmung so aufheizt und der Plenarsaal mit seiner Kreisform zu einer polyphonen Echokammer geriert, tanzt einer der Volkstribunen in der Mitte des Parlaments, wo sich inzwischen eine dichte Rauchwolke bemerkbar macht – ein starkes Sinnbild für die aus Angst und Schrecken profitierenden Rechtspopulisten.
Unterstützt wird die Zuspitzung mit Videoprojektionen auf den Seitenwänden des Plenarsaals. Mitunter sehen wir auf den Kinderchor mit Kopftüchern oder die Rädelsführer des Mobs, die sich ganz geschichtsvergessen geben: „Das ist lange genug her mit den Öfen“. Dass man inmitten all der Ironie und des Zynismus zumindest auch auf eine ganz ernsthafte Figur trifft, ist erfreulich. Es handelt sich dabei um die blinde Stenografin (eine großartige Kristina Gorjanowa). Sie gemahnt an die Blütephasen eines vergangenen Parlamentarismus und assoziiert den Plenar- zuletzt mit dem Kreißsaal. Hinzu kommt noch einmal der Kinderchor, der nun singt: „God is full of love“. Schade, dass am Ende eine derartige Naivität für eine harmonische Abrundung sorgen soll. Was bleibt überhaupt von diesem Abend? Tatsächlich nicht viel Neues. Manchmal vermag aber eine Premiere genau zur rechten Stunde zu kommen. Nach Chemnitz erweist sich diese Inszenierung wie eine Richterskala. Sie macht uns klar: Wenn wir nicht handeln, steht uns das große Erdbeben erst noch bevor.