Foto: Jochen Biganzolis Leipziger "Meistersinger". © Andreas Birkigt
Text:Joachim Lange, am 18. April 2011
Zur Einweihung des neuen Opernhauses in Leipzig hatte Joachim Herz Richard Wagners „Meistersinger“ inszeniert. Genau 50 Jahre später standen sie wieder auf dem Programm, diesmal in einer Inszenierung von Jochen Biganzoli. Für Joachim Herz wurde das die letzte Opernpremiere, die er vor seinem Tod noch besuchen konnte.
In seiner Jubiläums-Inszenierung nimmt Biganzoli einen langen Anlauf. Er beginnt im ersten Aufzug mit einem detailverliebten Kammerspiel, das wie die Vorbereitung zu einer Betriebsfeier aussieht. An den Wänden von Helmut Brades nüchternem Bühnenguckkasten werden dann aber bald alle möglichen und (politisch) unmöglichen Spruchweisheiten ausgeklappt. Es ist ein Panoptikum der deutschen Mentalität von „Tür zu“ über „Land der Dichter und Denker“ bis „Ausländer raus“ in Sütterlin! Mit der Prügelfuge dann gewinnt der Deutungsehrgeiz die Oberhand. Es beginnt wie ein albernes Ballett der verschlafenen Meister, wird zu einer Kissenschlacht und endet mit einem dunkel dräuenden, in Marschordnung formierten Fackelzug. Beckmesser bleibt als blutig geschlagenes Opfer auf der Strecke. Zur Festwiese, wenn es auf die kontaminierte Schlussansprache von Hans Sachs zugeht, wird dann die Lektion in deutscher Geschichte nachgeliefert, die in den letzten Jahren zum politisch korrekten Interpretationston gehört. Nachdem aus dem (Bühnen)Nebel der Geschichte Burschenschaften auftauchen, Hans Sachs zur nationalen Ikone und zum Erfolgsautor (Bestseller: „Mein Leben“) stilisiert wird, Beckmesser mit einem Slapstick-Hitler durchs Bild geistert und schließlich die Lehrlinge in FDJ-Hemden nicht nur Freiübungen beisteuern, sondern auch Losungen dazwischen brüllen dürfen, kommt diese Inszenierung mit dem Einzug der Meister sozusagen bei sich selbst an.
Und das heißt in diesem Falle: genau am Jubiläumsabend. In festlicher Robe wird da nicht nur von der Bühne aus den Bannern mit der Jubelzahl 50 an den Rängen und Logen zugeprostet, das Publikum spielt sogar mit und stimmt in den Beifall ein, der ihm auf der Bühne vorgespielt wird. Der hell erleuchtete Zuschauerraum ist dabei in einer riesigen Spiegelwand auf der Bühne ohnehin gedoppelt. Mit dieser Art von selbstreferenzieller Pointe bewältigt Biganzoli auch die heiklen Passagen der Schlussansprache über die Deutsche Kunst. Hatte Peter Konwitschny die Schlussansprache in Hamburg noch unterbrechen und deren deutschnationale Schlagseite diskutieren lassen, Katharina Wagner sie in Bayreuth beim Wort genommen und den Reaktionär in Hans Sachs freigelegt, so bleibt Biganzoli hier auf der Seite von Sachs und Wagner. Hier will ihn das Publikum einfach nicht mehr verstehen. Es lacht ihn aus, wenn er mit wachsender Verzweiflung seine Sorgen um die Kunst und die Zeitläufe formuliert. Da der sich schon seinen Verzicht auf Eva abringen musste und in auffallend vielen Schnäpsen ertränkt hatte, flieht er nach dem „Wach auf“ erst aus dem Saal, um dann nach der Rückkehr und der Standpauke für Walther mit einem Herzinfarkt hinausgetragen zu werden.
Musikalisch sichert Axel Kober am Pult des Gewandhausorchesters Spannung, wahrt die Balance und lässt den Sängern Raum zur Entfaltung. Imponierend wie vor allem Wolfgang Brendel das für seinen differenziert gespielten und kultiviert gesungenen Sachs nutzt. Dietrich Henschel nimmt seinen Beckmesser selbst beim gelegentlichen Slapstick und leichten Höhenproblemen ernst. Stefan Vinkes Walther von Stolzig setzt auf Lautstärke, was seiner sympathischen Eva (Meagan Miller) genügt und bis zum Schluss vorhält. Auch für die übrigen Partien kann Leipzig solide Darsteller aufbieten. Man hätte sich gewundert, wenn sich in den einhelligen Beifall nicht doch ein paar Buhs für die Regie eingefunden hätten.