Foto: Opernchor und Martha Tham (Rupert) © Dirk Rückschloß / Pixore Photography
Text:Joachim Lange, am 20. Oktober 2024
Mit Michael William Balfes „Satanella oder die Macht der Liebe“ zeigt das Eduard-von-Winterstein-Theater einen weiblichen Teufel und die Flucht eines Mannes vor den Wahnvorstellungen der eigenhändig ermordeten Braut. Dabei bleibt neben der eindrücklich grandiosen Musik die Suche nach dem roten Faden.
Intendant Moritz Gogg und sein GMD Jens Georg Bachmann sind auf den Geschmack gekommen. Das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz punktet wieder mit einer Ausgrabung! Will man etwa eine Oper des irischen Verdi- und Wagner-Zeitgenossen Michael William Balfe (1808-1870) kennenlernen, muss man sich schon in das ambitionierte Theater im Erzgebirge aufmachen. „Satanella oder die Macht der Liebe“ ist schon die zweite Balfe-Ausgrabung. Anders als bei dessen „Falstaff“, der hier auch schon als großer Erfolg über die Bühne ging, geht es bei „Satanella“ verteufelt kompliziert zur Sache.
Mit einer Dämonin namens Arimanes und der „guten“, alsbald menschelnden Teufelin Satanella. Der gründlich vom Pfad eines einigermaßen tugendhaften Lebens abgekommene Graf Rupert, lässt sich auf einen Teufelspakt ein, um seine Hochzeitspläne umzusetzen. Satanella funkt ihm immer wieder dazwischen, weil sie selbst ein Auge auf ihn geworfen hat. Sie nimmt sogar ein Zerwürfnis mit ihrem teuflischen Chef in Kauf, der hier eine Chefin ist. Dass der Teufel weiblich ist, ist schon eine aparte Pointe. Als makabre Vollendung der Emanzipation ist sie gar anschlussfähig für die Diskurse von heute.
Metaebene und Alptraum
Nun hat diese Oper keine Rezeptionsgeschichte, an die eine Inszenierung anknüpfen und mit der sie spielen könnte. Regisseur und Ausstatter Christian von Götz „spielt“ trotzdem. Er fügt mit Pater Braccacio und Carl eine Metaebene ein. Der Kampf zwischen Gut und Böse wird zur imaginierten Teufelsgeschichte; zu einer Art Alptraum, als Kampf des Mannes Carl gegen seine eigenen Dämonen sprich Traumata. Der zur zentralen Figur aufgewertete Carl versucht nämlich mit der Wahnvorstellung, dass er seine Braut umgebracht hat, durch das geträumte parallele Leben Ruperts fertig zu werden.
Anders als die immer wieder in aller Pracht melodienstark aufleuchtende Musik ist die Szene durchweg düster, kafkaesk. Nicht nur ein Rabe erinnert an Edgar Ellen Poe. Der Wechsel zwischen den Ebenen und den Bezügen bietet Raum für abschweifende Assoziationen.
Verhältnis zwischen Pater und Carl
Auch was das Verhältnis von Pater Braccacio und Carl betrifft, die beide am Ende tot aber vereint, an der Rampe liegen, während Ruppert seine Braut im Arm hält und Satanella in welche Abteilung des Überirdischen auch immer entschwebt. Wenn der Pater dem fast nackten Carl die Füsse wäscht und dabei ein Gefühl in sich entdeckt, das er bis dahin nicht kannte, spielt das nicht nur mit dem entsprechenden christlichen Ritual. Wenn der sich dann geißelt und vom bigotten Chor gedemütigt und erniedrigt wird, fällt einem unwillkürlich der Umgang der Victorianer mit dem geouteten Oscar Wilde ein.
Oben: Verena Hierholzer (Arimanes), Unten: Sarah Chae (Satanella). Foto: Dirk Rückschloß / Pixore Photography
Die Libretto-Vorlage von Augustus Harris und Edmund Falconer schenkt dem Publikum (selbst in der Fassung, die von Götz sinnvoll kürzend und ändernd davon übrig gelassen hat) insgesamt nichts. So geschmeidig die englischen Verse und die Musik auch miteinander verbunden sind und dadurch Effekt machen, dienen auch die deutschen Übertitel nicht immer der Wahrheitsfindung. Dass sich alle gleichwohl als Anwälte der Musik verstehen, ist schon nach den ersten Tönen erkennbar. Und ein Glück. Denn die ist phantastisch. In ihrer melodischen Opulenz und Eingängigkeit. Und in ihrer Offenheit, mal romantische Oper, mal englisches Belcanto, mal Operette mit Verweis auf Offenbach oder Sullivan. Alles klug auf knapp drei Bruttostunden eingekürzt, in perfekt gebautem Wechsel zwischen Arien, Ensemble und Chorszenen.
Wer findet den roten Faden?
Wenn die atemberaubend wirkungssichere Musik und die atmosphärisch suggestive Szene auch ohne einen sofort eingängigen roten Faden (wer in findet sollte sich freuen, oder sich melden) der eigentlich erzählten Geschichte als Erfolg durchs Ziel geht, dann liegt das vor allem an dem grandiosen Ensemble, das die vokalen und darstellerischen Herausforderungen auf höchstem Niveau meistert, so dass es im Grunde egal ist, wer sich da gerade wen imaginiert…
Das fängt an bei Richard Glöckner als exzessiv gegen seine Dämonen kämpfenden Carl und seinem Widerpart Jakob Hoffmann, hier als Pater Braccacio. Die Titelpartie der Satanella verkörpert die faszinierend höhensichere südkoreanische Sopranistin Sarah Chae. Den Grafen Rupert singt Martin Mairinger prachtvoll. Dass ihn wegen einer Verletzung Martha Tham überzeugend androgyn spielt, war zwar nicht geplant, fügt sich aber in die genderfluide Personage.
Bei Teufels ist es so ähnlich, da spielt Verena Hierholzer eindrucksvoll die Dämonin Arimanes während ihr Wenzheng Tong seine sonore männliche Stimme leiht. Maria Rüssel (Leila), Bettina Grothkopf (Stella), Nadine Dobbriner (eine Lady) und László Varga (Hortensius) ergänzen das vokal und spielerisch stark geforderte Ensemble. Der von Kristina Pernat Ščančar einstudierte Chor ist in Hochform. Die mittelwerweile Balfe-erfahrene Erzgebirgische Philharmonie Aue unter ihrem GMD Bachmann ist eine Wucht. Das „Vorhang zu und viele Fragen offen“, das dem Jubel folgt, kann man nur hinterherrufen: na und?