Steffen Hoeld, Max Mayer, Vincent Glander und Katja Jung im "Garten" von Anja Hilling am Schauspielhaus Wien.

Wildnis, ohne Schutz

Anja Hilling: Der Garten

Theater:Schauspielhaus Wien, Premiere:10.12.2011 (UA)Regie:Felicitas Brucker

Die Natur gab schon von jeher eine ideale Projektionsfläche für romantische Aussteigerfantasien und idyllische Verschmelzungssehnsüchte ab. Die Geschichte des neueren Dramas zeigt allerdings: So kritisch Autorinnen und Autoren auch unserer Zivilisation gegenüberstehen, so wenig vertrauen sie der Natur letztendlich als Alternative. Schutz bietet diese ohnehin bereits seit Elfriede Jelineks radikalen Sprachflächen, in denen Landschaften stets unheimlich sind, keine mehr.

Die Berliner Dramatikerin Anja Hilling knüpft mit ihrem jüngsten Stück „Der Garten“, ein Auftragswerk für das Wiener Schauspielhaus, nahtlos an frühere Werke wie „Schwarzes Tier Traurigkeit an“, damals überraschte ein Waldbrand eine Gruppe von Städtern, die wortgewandt über ihre innere Leere hinwegwitzelten. „Der Garten“ beginnt ähnlich zivilisationskritisch. Die Figuren sind „im Hirn zuhause, gewohnt, die Dinge scheiße zu finden“, sie sind Kritiker in ihren Mitdreißigern. Bis Antonia (Nicola Kirsch) den abgefuckten Rockstar Sam Embers (Thiemo Strutzenberger) begegnet und aussteigt. Sie lässt ihren Freund, ihre Karriere und ihr festes Einkommen hinter sich, um als Gärtnerin im verwilderten Garten des Sängers zu arbeiten – und dort zu sterben. Allerdings nicht so romantisch, wie das die innige Todesumarmung, in der sie mit dem Popstar aufgefunden wird, vermuten lassen könnte. Insofern ist das Stück auch ein Krimi: Zwei Polizisten ermitteln, wie es zu diesem mysteriösen Liebestod kam.

Hillings Text ist ein seltsamer Hybrid: treffsicher in seinen zynischen Dialogen und gewagt pathetisch in seinen poetischen Anflügen („Ihre Umarmung ist ein durstiger Spat der Natur, die ihr Comeback feiert in den Splittern der menschlichen Brust“). Schauspielhaus-Stammregisseurin Felicitas Brucker nähert sich dem ambitionierten Stück angenehm pragmatisch. Durchaus passend stellt sie eine Liveband (Beautiful Boys) auf die Bühne, und verzichtet darauf, Blumen sprechen zu lassen. Nach und nach entwickelt der Abend einen spannenden Sog, das Ensemble schmeißt sich mit enormer Energie ins Geschehen und nimmt die Figuren, die oft bloß als Schablonen gedacht wurden, erfrischend ernst. Wenn am Ende der Garten explodiert wird die Bühne mit Farbe zugeschmiert. Aber trotz aller Buntheit bleibt einmal mehr die Erkenntnis: dem „Schwarzen Tier Traurigkeit“ können wir eben so wenig entkommen wie unserer Zivilisation.