Manche sind gleicher als andere

Ian Burton, Alexander Raskatov: Animal Farm

Theater:Wiener Staatsoper, Premiere:28.02.2024Autor(in) der Vorlage:George OrwellRegie:Damiano Michieletto Musikalische Leitung:Alexander Soddy Komponist(in):Alexander Raskatov

George Orwells „Animal Farm“ an der Wiener Staatsoper wurde von Alexander Raskatov und Ian Burton adaptiert. Neben expliziten Gegenwartsbezügen bleibt der Stoff von 1945 unverändert aktuell und spiegelt die Ungleichheiten in der Klassengesellschaft wider.

Bereits ein Jahr vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine schrieb Alexander RaskatovAnimal Farm“ nach George Orwell. Die Inszenierung von Damiano Michieletto ist unumwunden hochpolitisch sowie stets systemkritisch. Orwell verarbeitet die Ereignisse von der Oktoberrevolution 1917 bis hin zu den Moskauer Prozessen Ende der 1930er Jahre in Form einer Fabel. Den Tieren wird exemplarisch eine marxistische Revolution angedichtet, welche Ungleichheit und Klassen abschafft.

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Demaskierende Revolution

Statt auf einer Farm wie in Orwells Original befinden sich die Tiere auf einem Schlachthof und sind teils in Käfige gesperrt oder festgekettet. Der sogenannte „Old Major“ (Gennady Bezzubenkov), ein weises, altes Schwein, erzählt von seinem Traum einer Revolution: Freiheit von der Sklaverei des Menschen und eine Welt der Selbstbestimmung für Tiere. Nach Old Majors Tod stehen zwei Schweine am Kopf der Revolution: Napoleon und Snowball. Dies ist auch das erste Mal in den wenigen ersten Minuten der Vorstellung, dass die Tiere ihre Masken abziehen und ihr menschliches Gesicht zum Vorschein kommt. Es ist eine kurze Vorschau auf das Ende, in dem sich die Tiere ohne Maske allzu menschlich in der Machtgier verlieren.

Animal Farm Wiener Staatsoper

Zu Beginn sind die Tiere noch maskiert und in Käfige gesperrt. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Sind die Käfige erstmal aus dem grauen mit weißen Marmorwänden bestückten Bühnenbild geräumt, beginnt die Politisierung. Der Animalismus wird eingeführt und Snowball und Napoleon übernehmen die Macht. Eine der wichtigsten Grundsätze: „Four legs bad, two legs better“. Diese Schriftzüge werden in roter Farbe an die Wände geschmiert. Sie werden lediglich zu Propagandazwecken der Schweine im Verlaufe des Stücks angepasst.

Abgelaufenes Rollenbild

Mollie, ein weißes Pferd, mit ihrer rosa Schleife und immer wieder ihr glänzendes Haar durchkämmend, scheint jedoch nicht ganz systemkonform zu sein. Sie verlangt zu sehr nach Zuckerwürfeln und luxuriösem Schmuck – beides bietet ihr der Farmer Pilkington. Wiehernd und mit beachtlicher Koloratursopranstimme gibt Holly Flack ihr Debüt an der Staatsoper. Die Ausschöpfung jeglicher Hoch- und Tieftöne der Sänger:innen in unterschiedlichen Figuren hat sich Raskatov ganz genau überlegt. In sensiblen, manchmal vielleicht zu unangenehmen Höhen wird Mollie als Stute überzeichnet. Die Darstellung dieser Frauenrolle, die sicherlich eine originalgetreue Widergabe von Orwells Vorlage ist, ist jedoch in heutiger Zeit abgelaufen. Dort hätte sich eine modernere Umsetzung angeboten, anstatt degradierende Stereotype zu reproduzieren.

Auch die Ausarbeitung von Blacky als hinterhältiger Spion in rabenartiger Krächzerei gibt Elena Vassilieva, ebenfalls im Debüt an der Staatsoper, gesanglich phänomenal. Die grunzend lachende Gesangsstimme von Squealer, dem Schergen Napoleons, passt zur Figur und Sänger Andrei Popov. Der Chor in Kombination mit dem von Alexander Soddy geleiteten Orchester gibt dem Klangbild des Abends einen angemessen düster dystopischen Ton.

Absurd, aber wahr

Nachdem der erste Versuch der Menschen, das Schlachthaus zurückzuerobern, gescheitert ist, wird Snowball von Napoleon zum Feind erklärt. Das Töten der Tiere beginnt. Das ein oder andere Tier erinnert sich vielleicht an das Verbot der Tötung von Tieren. Die mittlerweile mit schwarzer Farbe ergänzten Grundsätze sprechen dagegen.

Animal Farm Wiener Staatsoper Squealer Snowball Napoleon

Snowball (links: Michael Gniffke) und Napoleon (rechts: Wolfgang Bankl) diktieren Squealer (Andrei Popov) ihre politischen Grundsätze. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Im Epilog wird der Realitätsbezug (etwas zu) explizit adressiert. Dass sich am Ende die Tiere auf ein feierlich hergerichtetes Schwein stürzen, besiegelt den Niedergang des Animalismus. In den letzten Zügen, in denen das hart arbeitende Pferd Boxer (Stefan Astakhov) aufgrund von Arbeitsunfähigkeit zum Abdecker gebracht wird, wird dies noch expliziter. Squealer zitiert die Worte Stalins „There is a person, there is a problem” nach Boxers Ableben.  Brandaktuell finden sich diese Worte in Zusammenhang mit dem überraschenden Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny wieder.

Widerspiegelung der Ungleichheit

Voller Zitate bleibt die Inszenierung von Michieletto, denn zu den zuvor in neonpink strahlenden Buchstaben „All animals are equal“ gesellt sich am Ende der Schriftzug „but some of them are more equal than others“ von Orwell. Das also bleibt von den Thesen des Animalismus übrig. Und die Worte spiegeln sich in einer realen Klassengesellschaft wider, die Orwell bereits kritisierte. Noch viel unmittelbarer findet sich die Bedeutung der Worte im Saal selbst wider, in dem Menschen 200 Euro für einen Sitzplatz zahlen oder im günstigeren Bereich zweieinhalb Stunden stehen dürfen.