Die Höllenfahrt, die seligen Geister – es könnten Träume, könnten Orpheus’ Ballettkreationen sein, die er im Kopfe trägt. Die drei Zerberusse sehen in ihren Schuppenkostümen jedenfalls ziemlich nach Fantasy aus, wenn sie mit wilden Drehsprüngen die Unterwelt aufmischen. Während die elysischen Geister langsam schreiten und heben, eint sich das Solistenpaar zu weicher Harmonie, die auch über den Boden führt. So meint der Choreograph Orpheus schon, seine Eurydike (jetzt wieder die Sängerin) in die Wirklichkeit zu holen. Andriana Chuchman bringt einen schön, runden Sopran ein. Das Duett allerdings besteht wieder aus Vorwürfen und Misstrauen, ihre Beziehung war sicher nie konfliktfrei (siehe Ouvertüre), und schon kippt Eurydike rücklings in die Arme der bereits das Zimmer umlauernden schwarzen Lemuren. Orpheus will sich mit ihrem Schal erdrosseln, aber der androgyne Amor, sein Assistent, rettet ihn. Marie-Sophie Pollak vermag mit ihrem silberhellen, dabei leuchtstarken Sopran wahrhaft zu begeistern.
Amor lenkt Orpheus auf die Kreation als Trauerarbeit. „Die Liebe schmerzt, schenkt aber auch Freuden“, singt er, und schon sehen wir Orpheus wieder als Choreographen bei den Proben mit der Compagnie vor dem „Toteninsel“-Prospekt. Seine beiden Solisten tragen das Weiß aus der Elysium-Szene, hier im Kunstwerk sind Orpheus und Eurydike also wieder vereint. Das hat Neumeier gut ausgedacht.
Gluck lässt allerdings noch einige Freudentänze teils volkstümlicher Manier folgen, die Neumeier als sein eigener Ausstatter in unglücklichen grünen und lila Kostümen ausführen lässt. Ob das nun der ironische Blick des Choreographen auf das konventionelle Happy End von Königs Gnaden ist, wird nicht klar. Die aus dem Liegen in Drehsprünge führenden Bewegungen hätte man sich lieber im zeitlosen Weiß der Weihnachtsoratoriums-Apotheose gewünscht. Alessandro de Marchi am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters lässt die Partitur hier und bei den Zerberussen sprudeln, fügt sich ansonsten aber zweckdienlich in den ruhigen Duktus der Reformoper.