Foto: Kristina Lotta Kahlert, Luise Harder, Jonas Pätzold, Dominik Puhl, Thomas Fritz Jung und Miguel Jachmann in "Animal Farm" am Theater Konstanz © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 25. Februar 2023
Ist es ein Stück der Stunde? Die Geschichte von der „Herrenfarm“, die sich in die „Animal Farm“ umbenennt und dann sich am Ende wieder in die „Herrenfarm“ verwandelt, trägt zumindest Züge, die aktuell erscheinen.
George Orwell erzählt seine 1945 erschienene Geschichte auf mehreren Ebenen. Eine davon ist, wie Utopien platzen und zu Dystopien werden, wie der Traum von Karl Marx von einer Gesellschaft der Gleichen, der dann von Stalin aufgegriffen und pervertiert wird und in einer absoluten Diktatur endet: Wenn es denn einmal hieß: „Alle Menschen sind gleich“, so heißt es nun: „Alle Menschen sind gleich, aber manche sind gleicher!“ Was als Utopie begann, endet in einer blutigen Diktatur.
Orwell hat in „Animal Farm“ seine Erfahrungen, die er im Spanischen Bürgerkrieg gemacht hat, verarbeitet. Was er beschreibt, ist der Verrat an den von Marx formulierten Philosophie einer von Unterdrückung freien Gesellschaft. Aber so wie Marx den Philosophen Hegel auf die Füße stellt, so stülpt auch Stalin Marx um. „Animal Farm“ ist nicht nur eine Geschichte über einen Sozialismus, der von Stalin (und seinen Nachfolgern) pervertiert wird, sondern lässt sich auch als eine Parabel auf gesellschaftliche Verhältnisse lesen, in denen aus Freiheit Unfreiheit wird. Und das geht manchmal, zumal wenn sich moralistische Kategorien einmischen, sehr schnell.
Arbeit am Theater
Die Lesart, die Franziska Stuhr am Theater Konstanz wählt, ist eine Mischung aus Historie und parabelhaften Spiel. In ihrer Inszenierung betont sie bis hin zum Toi Toi Toi das Theaterhafte der vorgeführten Vorgänge. Andererseits müssen vier der sechs Spieler und Spielerinnen während der gesamten Vorstellung Säcke hin- und hertragen und auf der sonst leeren Bühne immer neue Stapel erstellen (Bühne: Ute Radler). Dazu erklingen rhythmische Töne (Musik: Johannes Hofmann), die die Schnelligkeit der Bewegungen bestimmen. So ganz kommen allerdings die Betonung des Theaterhaften und der Rhythmus der Arbeitsvorgänge nicht zusammen: Die Arbeit, die die Tiere für die Schweine leisten müssen, um im Existenzminimum überleben zu können, ist zumindest für die Tiere kein Spiel, sondern bitterer Ernst, der im Modus des So-Tun-Als-Ob zu verschwinden droht.
Dieser Widerspruch zerreißt die Aufführung: Wenn alles nur ein Spiel ist, ist dann die Geschichte ernst zu nehmen? Dabei nimmt Franziska Stuhr die Erzählung von der „Animal Farm“ ernst. Sie konzentriert sich in ihrer Inszenierungsarbeit auf präzise Rollengestaltung in einem sechsköpfigen Ensemble, in dem Fünf mehrere Rollen spielen müssen. Am eindeutigsten ist das bei dem Schwein „Petzwutz“ zu sehen. Dominik Puhl spielt mit leisen Tönen den gefährlichen Demagogen, der immer neue Ausreden erfindet. Das macht Puhl toll und das macht Angst, denn diese Rhetorik ist gefährlich überzeugend. Jonas Pätzold als der Führer Napoleon hingegen, der sich bemüht, mehr aus dem Hintergrund zu agieren und sich von der Masse fernzuhalten, lässt diese Gefährlichkeit weniger spüren: Mit seiner Souveränität lässt er bewusst alles in einem Lächeln verschwinden, was aber gar nicht so fies wirkt, wie es zu dieser Figur gehört.
Wobei: eine Figur wirkt nur so fies, wie es ihr zurückgespiegelt wird. Stark wird sie durch die Akzeptanz der Anderen: Luise Harder, Miguel Jachmann, Thomas Fritz Jung und Kristina Lotta Kahlert spielen die Schafe, deren Slogan sich von „Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht“ mit der Annäherung der Schweine an die Menschen in „Vierbeiner gut, Zweibeiner besser“ verwandelt: Die Masse trottet den Diktatoren geduldig hinterher, zumal aller Widerstand eliminiert wird.
Heutige Rhetorik
Franziska Stuhr und die Kostümbildnerin Evelyn Gulbinski lassen dabei die Tiere in Arbeitskleidung menschlich auftreten, die jeweilige Tierart wird durch einfache Gesten dargestellt, beispielsweise deutet Kristina Lotta Kahlert die Taube durch Kopfnicken an. Die Menschen werden in dieser Inszenierung bis auf den kurzen Auftritt vom Bauer Jones (Dominik Puhl), der von seinen Tieren vertrieben wird, nur akustisch hörbar. Ensemble wie Publikum lauschen gemeinsam dem Treffen zwischen den Schweinen und den Bauern aus der Umgebung zu. Ansonsten hält sich die Fassung von Nelson Bond, die als Spielvorlage ausgewählt wurde, eng an den Handlungsablauf, lässt aber viele Nuancen und Akteure weg, wie die Hunde, die Napoleon sich hält, um seine „Genossen“ zu unterdrücken.
Im Stück werden die sieben Gebote, die sich die Tiere als „Grundgesetz“ in ihrem Abwehrkampf gegen die Bauern gegeben haben, von den beherrschenden Schweinen durch Zusätze verwässert, bis sie sich in einem einzigen Satz – „Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher als andere.“ – aufheben. Was dieser Inszenierung von Franziska Stuhr gelingt, ist, die Sprache der politischen Rhetorik aufzuzeigen, deren ursprünglichen Inhalte sich in leere Sprachhülsen verwandeln – ein Vorgang, der auch in der Gegenwart leider nicht unbekannt ist.