Foto: Sophie Hutter in "Im Tal" © Joachim Dette
Text:Michael Laages, am 14. Oktober 2016
Gerade weil das deutsche Theaterpublikum den mittlerweile 60jährigen englischen Dramatiker Martin Crimp mit extrem klug berechneten szenischen Arrangements teils antiker und vertrauer, teils ureigen neuer Stoffe kennengelernt hat, ist diese Begegnung am ambitionierten Theaterhaus Jena schon ein wenig verstörend. Komplex, kompakt und klug konstruiert, ja wie auf dem dramaturgischen Reißbrett berechnet, waren zuletzt „In der Republik des Glücks“, deutsch erstaufgeführt am Deutschen Theater in Berlin, und „Alles weitere kennen Sie aus dem Kino“, nach den „Phönizierinnen“ des Euripides in den typischen, stark fragmentierten Crimp-Ton übertragen und erstmals vorgestellt am Hamburger Schauspielhaus von Katie Mitchell, zu Beginn von Karin Beiers Intendanz. Aber jetzt? „Im Haus“ und „Im Tal“, die beiden szenischen Miniaturen, die das Theaterhaus Jena in weniger als 90 Minuten zum Saisonbeginn zeigt, scheint bloßes Stückwerk zu sein; weit weg von der Dichte, die Crimps Sujets sonst auszeichnet.
Die Paar-Beziehung „Im Haus“ steht von Anbeginn unter keinem guten Stern: Einerseits himmelt er sie wie die ganz private Ober-Göttin des eigenen Lebens an, andererseits sieht er im Geschenk, das sie ihm mitbringt, nichts als Hundekot. Aber ist das wirklich so? Nachdem das Präsent ins Eisfach des Kühlschranks kommt, wird der komplett ausgeräumt und „gesäubert“; rund um den Dreck herum (wenn’s denn welcher ist). Es scheint eine Weile zu lohnen, all den winzigen Motiv-Details zu folgen, die Crimps Text (wieder in Ulrike Syhas Übersetzung) in Moritz Schöneckers Inszenierung auslegt: dem Kühlschrank und den ständig wechselnden Kostümen von Veronika Bleffert; der sonderbaren Nachbarin, die sich nicht etwa beschwert über laute Musik und noch lauteren Sex „Im Haus“, sondern nur darauf hinweist, wie einsam und schmerzlich berührt sie immer sei, wenn sie das höre. Wird sie womöglich zur geheimen Geliebten des jungen Mannes?
Im Handstand fühlt die junge Frau die beginnende Schwangerschaft besonders intensiv; als aber das Kind dann da ist, wirkt es wieder wie das sonderbar widerwärtige Geschenk vom Beginn, derweil das Paar auch wieder in den Kühlschrank schaut… All diese Schnipsel könnten eventuell Interesse erwecken, wie miniaturisiert und marginalisiert sie auch sein mögen – aber nie wird eine Art Motiv-Strang, nie wächst ein dramatischer Sog daraus. Benjamin Schöneckers Bühne ist immerhin ein kluger Denk-Raum: unter schräg nach hinten zulaufendem Dach scheint er wie auf Säulen zu ruhen, die gegen Ende umstürzen. Aber das Dach bleibt – wie ein Himmel.
Auf Dach und Säulen und Hintergrund liegt dauerhaft bedeutungsheischendes, aber letztlich belangloses Video-Geflimmer; auch im zweiten Teil: „Im Tal“. Jetzt geht es noch kryptischer zu – ein überlebendes Wesen irgendeiner letzten Apokalypse der Menschheit räsonniert noch einmal darüber, wie der finale Vernichtungsschlag erfolgt sein könnte; der letzte Gesprächspartner ist ein Schaf, das mit der Zeit allerdings zur letzten Ernährungsressource wird. Zwar mag auch diese Winzigkeit von Szene voller Anspielungen stecken (nicht nur im „agnus die“, im Lamm Gottes) – aber es fällt hier noch schwerer, auf Crimps Spur zu bleiben. Schon der Text gibt sich redlich Mühe, unzugänglich zu bleiben; und die Inszenierung unternimmt nicht viel, nicht damit und auch nicht dagegen. Zunehmend wirkt die Szenerie jetzt tatsächlich wie ein Himmel über Trümmern im Tal; und wie eingefroren – kein Zugang mehr, nirgends.
Sophie Hutter stemmt sich unter der Glatzen-Perücke des Atom-Opfers in diesen zweiten Teil; Klara Pfeiffer und (neu in Jena) Jan Hallmann sind zu Beginn immens beschäftigt mit dem anstrengenden Dauer-Wechsel von Klamotten und Haltung. Wie Ensemble und Regie Crimps Rätsel womöglich auch deuten könnten, bleibt vor lauter Überanstrengung unerzählt. Die nützliche Kulturreise, die die reisende Recherche-Gruppe um Kulturstaatsministerin Monika Grütters gerade in Deutsch-Ost unternimmt, machte in Jena Station, und das mutige kleine Theater freute sich. Aber ziemlich rat- und hilflos sind sie wohl alle geblieben.