Ein Herr von Stand gilt solange als treu, bis das Gegenteil bewiesen ist. Eine Dame von Stand hingegen ist solange treu, bis sie zum Gegenteil gezwungen wird, weil sich ihr Gatte erwischen ließ. Mehr als diese beiden Prämissen braucht Georges Feydeau nicht, um daraus seine zweistündige Farce „Le Dindon“ zu entwickeln. Keine Ausschmückungen, keine Relativierungen. Einfach nur das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“, durchdekliniert in den feinen Pariser Kreisen der Belle Époque mit all den Peinlichkeiten und Frivolitäten, die dieses Thema verspricht.
Dass dieses geradlinige Komödien-Konzept bei entsprechender Personenführung und zurückgestellter Eitelkeit des Spielleiters aufgeht, davon konnte man sich am 13. April in Meiningen überzeugen. Dort nämlich kam „Le Dindon“ unter dem eigens für das Südthüringer Haus erdachten marktgängigeren Titel „Die erotischen Erfolge des Monsieur R.“ zur Premiere. In der Regie des österreichischen Tausendsassas Werner Schneyder. Was – neben den sprachlichen Finessen der neu angefertigten Übersetzung und den präzisen Abläufen – einen nicht unerheblichen Reiz dieses Bühnenerlebnisses ausmacht.
War es doch Schneyder, dessen wenig diskreter Kommentar auf das Meininger Theaterleben vor eineinhalb Jahrzehnten einigen Unmut nebst brennenden Kulissen nach sich zog. Noch unter der Intendanz des später tödlich verunglückten Ulrich Burkhardt übernahm er die Regie-Arbeit in Arthur Schnitzlers psychologisierender Tragikomödie „Das weite Land“. Seine Erfahrungen während der Proben und auch in der kulturgeprägten Kleinstadt resümierte er 1998 in der Veröffentlichung „Meiningen oder Die Liebe und das Theater“. Mit teils wenig charmanten Urteilen über die Darsteller und das lokale Bürgertum, die trotz veränderter Namen keine Zweifel ließen, wer durch mangelndes Talent, wer wiederum durch Borniertheit Eindruck beim Gast aus dem Alpenland hinterlassen hatte. Um diese beendeten Befindlichkeiten sollte es an diesem Abend aber nicht gehen, vielmehr um die Befindlichkeiten in der Ehe von Madame und Monsieur Vatelin. Wird der Schönen doch gleich von zwei Gentlemen der Hof gemacht, um nicht zu sagen nachgestiegen.
Künstler und Beamte
So weit, so schmeichelnd für Lucienne. Die Sache verkompliziert sich allerdings nicht unerheblich, als sich der dreistere der beiden Filous, Monsieur Pontagnac, als guter Bekannter von Monsieur Vatelin herausstellt. Und dem Objekt seiner Begierde wiederum einen Floh über die Treue und sonstige Qualitäten von Ehemännern ins Ohr setzt, die allenfalls zum Beamten, nicht aber zum Künstler der Liebe taugten. Sollte Vatelin seinen Appetit tatsächlich außer Haus stillen, wäre das für die Betrogene die Verpflichtung zur Vergeltung mit gleichen Mitteln.
Dafür wiederum steht der Junggeselle Rédillon bereit, seines Zeichens ihr wenig heimlicher, aber sehr platonischer Verehrer. Und nun wird es verzwickt. Erst taucht die duldsam leidende Madame Pontagnac auf, anschließend das Rasseweib Maggy, mit der Vatelin jenseits des Ärmelkanals ein Tête-à-Tête hatte, das zu wiederholen er diesseits des Ärmelkanals nur wenig Lust verspürt. Wenn sie denn nicht beständig mit Selbstmord drohen würde. Der düpierte Gatte Soldignac lässt erwartungsgemäß ebenfalls nicht lange auf sich warten, wissend dass, aber nicht mit wem seine Frau in einem Pariser Hotel absteigen will. Heiklerweise beauftragt er ausgerechnet seinen Nebenbuhler Vatelin, die Scheidungspapiere aufzusetzen, bevor er Maggy in flagranti in der Horizontalen erwischt.
Mit dem sich mehrenden Personal auf der Szene beschleunigt auch die Handlung. Tür fliegt auf, Tür fliegt zu. Auftritt hier, Abtritt dort, mal durch den blauen, mal den gelben, mal den roten Rahmen. Überhaupt spielt das Farbkonzept eine wichtige Rolle in der Inszenierung. Wer sich legitim mit wem auf weichen Matratzen, plüschigen Sofas oder eleganten Ottomanen wälzt, ist am besten an den abgestimmten Farben der Kleidung zu erkennen. Einzig der von Vivian Frey gespielte Rédillon ist im zarten Grau seines Anzugs mit jeder Dame kompatibel.
Keinerlei Ablenkung
Und sonst? Wird viel geschrien, geräkelt, auf dem Boden gewälzt, verfolgt und bedroht, hingegen sträflich wenig zur Sache gekommen. Amüsant ist es dennoch, vielleicht sogar deshalb, weil eben der Vollzug auf sich warten lässt. Weil weder ein detailverliebtes Bühnenbild noch Nebenstränge ablenken, kann sich der Theaterbesucher ganz auf die Komödie konzentrieren, deren sprachliche Feinheiten zuweilen einiges an Aufmerksamkeit fordern.
Und er kann mit dem großartigen Harald Schröpfer leiden, der als Pontagnac so gerne will mit Lucienne, aber nicht einmal als Ersatzmann für den von den Damen überanspruchten Rédillon ran darf. Und mit dem armen Michael Jeske alias Pinchard, dessen unfreiwillig komische da stocktaube Gattin (Rosemarie Blumenstein) eher Mord-, denn sonstige Gelüste weckt. Und schließlich kann er rätseln, ob die umwerfende Chris Pichler in der Rolle der erbosten Lucienne ihr Mieder lüpfen wird. Viel Applaus für ein großes Vergnügen.