Foto: Szene mit Petra Hartung, Alexander Höchst, Fanny Krausz und Markus Fennert © Thomas Langer
Text:Dieter Stoll, am 4. März 2016
Zu Beginn der Aufführung sieht man den sterbenskranken Walter Faber, den sein Erfinder Max Frisch einen „verhinderten Menschen“ nannte, im Krankenhaus-Hemd auf offener Bühne zusammenbrechen. Er steht wieder auf, denn wir müssen ihn und sein Schicksal ja erst kennen lernen. Doch der Begriff „Schicksal“ ist tabu. Ein sonderbares Wesen, das die Welt auf mathematische Formeln festnagelt und Rationalismus zur ersatzreligiösen Abwehrhaltung aufbaut, verbittet sich jegliche Mystik. Ein Mann, der für die UNESCO an der Rettung der ganzen Menschheit arbeitet und gleichzeitig verantwortungslos sein eigenes Leben verpasst, durchläuft bei knatterndem Zufallsgenerator „die unwahrscheinlichste Geschichte, die man sich ersinnen kann“. Die Fügung, dieser „Grenzfall des Möglichen“, hat ihn zurückgebracht zur 21 Jahre vorher verlassenen und so ganz anders gestrickten Lebensgefährtin Hanna, die ihm die Existenz einer gemeinsamen Tochter gesteht. Es ist jenes Mädchen, dem er kurz vorher bei Langeweile auf hoher See einen Heiratsantrag machte. Wie das Schicksal so spielt. Der Tod wird das Schlimmste verhindern und der chronische Einzelgänger, der beim Anblick eines Doppelbettes immer gleich an Fremdenlegion dachte, ist zumindest beim finalen Bühnen-Zusammenbruch nicht mehr allein. Da steht ihm sein Alter Ego zur Seite, das vorher hilfreich assistierende literarische Ich-Phantom als bessere Hälfte, und beide Herren kleiden sich um mit dem letzten Hemd, das keine Taschen hat.
In der Trendwelle der dramatisierten Romane, wo ja längst die gegenläufigen Systeme von freier Assoziation und praktikabler Werktreue konkurrieren, ist „Homo faber“ Vorläufer und (mit immerhin fünf Produktionen in dieser Saison) Modellfall zugleich. Nachschöpfer Volkmar Kamm hat sein System inzwischen auch für die Grass-„Blechtrommel“ angewendet. Anders als in der neueren Fassung von Ulrich Woelk, die in vielen schnell geschnittenen Szenen filmische Rundblick-Effekte als Mehrwert-Verheißung sammelt, ist das bei Kamm eine diskret fließende Elegie, ganz Vermittlungsdienst zwischen Dichter und Zuschauer. Das widerständig Rätselhafte war beim Charakter, den Max Frisch seinem Anti-Helden zuschrieb, schon im Roman, dem heutigen Schulbuch-Klassiker, die faszinierendste Grundlage. Der Leser war gebeten, ja gezwungen, hinter der wunderlichen Außenwirkung von Innenleben nach Erklärungen zu suchen und kann das in Tempo und Pointierung selbstbestimmend tun. Beim Zuschauen wird diese Freiheit eingeschränkt, denn die umgesetzte Bühnenfassung ist schon doppelte Voraus-Interpretation, durch Textverarbeitung (hier die auf Spannung setzende Kammerspiel-Fassung von Volkmar Kamm) und Ulrike Arnolds etwas zu schüchterne, hochachtungsvoll geratene Inszenierung. Mit der Karambolage zwischen Zufall und Schicksal geht sie so vorsichtig um als ob sie die Aufführung schützen wollte. Die gedanklichen Freiräume, die sie lässt, sind freilich wiederum gute Möglichkeiten zur nachträglichen Deutung. Eine Vorstellung, die was für den Heimweg mitgibt.
Ausstatterin Julia Ströder hat einen Pressholz-Container als karg möblierten Wohnraum gebaut (die Aufforderung „Mach es dir gemütlich“ hat da schon humoristische Qualität), dem nach und nach alle Schutzwände abhanden kommen. Für Außenszenen wird so das Realismus-Kleinklein in Abstraktionen aufgelöst, das Dach ist Schiffsdeck, die Rampe auch Krankenstation. Zunächst aber wird Faber gespalten in handelnde und – das ist ja kein Stück, sondern ausdrücklich „ein Bericht“ von Max Frisch – schildernde Hälfte. Im Wohn-Container steht die Olympia-Schreibmaschine auf dem Sofa bereit, aber ganz sicher wird man nie sein, ob mit dem Geklapper die Geschichte erst erfunden oder schon nacherzählt wird. Alexander Höchst ist der echte Faber (eher ein milder Zyniker als der herrische Großinquisitor der Vernunft), Markus Fennert sein Phantom-Sidekick (die wandelnde Packungsbeilage zur Gebrauchsanweisung). Auf Zwillings-Spiegelung ist das ungläubige Doppel nicht allzu streng festgelegt. Petra Hartung gibt als Hanna die spröde Gegenposition (den Sarkasmus nimmt sie nur beiläufig mit) und fürs Mädchen Sabeth mit dem wippenden Pferdeschwanz mobilisiert Fanny Krausz alle Disco-Munterkeit, die man sich dafür spontan vorstellt. Sie blickt voll durch, wenn sie ihrem (väterlichen) Flirt-Partner zweifach zulächelt: „Sie sind komisch, Mister Faber“, sagt sie da, und tippt nacheinander beide Herren an.
Der segensreichen Absurdität dieser Situation, dem Flippern mit den Ereignissen, hat Regisseurin Ulrike Arnold dann doch zu wenig getraut. Zwar gibt es das Intermezzo eines etwas überraschenden Slapstick-Albtraums, bei dem Pingpong-Bälle über Masken regnen, aber ansonsten wird das komplexe Gewirr der auf Schicksal umdekorierten Zufälle vor allem wortgewandt bis zum Verlöschen vorgestellt. Die Welt als Wechsel-Kulisse für den Hintergrund dieser Bewusstlosigkeit im Aktionsmodus, schrumpft zur Anekdote. Der haltlose Lebens-Techniker Faber, dem der Dichter herausfordernd ein Schicksal zugeschrieben hat, bleibt auf der Bühne undurchschaubar. Aber Max Frisch hat man gerne mal wieder zugehört.