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Wie bastele ich einen Molotowcocktail?

Oliver Frljic und Ensemble: Black Box Schule: They Expect You to Pick a Career

Theater:Düsseldorfer Schauspielhaus, Premiere:19.09.2013 (UA)Regie:Oliver Frljic

Ein T-Shirt kostet knapp zehn Euro, das andere doppelt so viel. Die Klasse soll die Etiketten wechseln, der Lehrer treibt sie an. Solche Dinge lernt man in der Performance „Black Box Schule – They expect you to pick a career“ am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf. Der Regisseur Oliver Frljic ist auf dem Balkan durch seine provokanten Theaterabende bekannt.

Gerade erregt ein Stück von ihm über den ermordeten Ministerpräsidenten Zoran Djindjic großes Aufsehen, den Mann, der den Kriegsverbrecher Milosevic an den internationalen Gerichtshof auslieferte. Oliver Frljics Stücke sind provokant, aktuell, bringen strittige Themen und Traumata derb und kraftvoll auf die Bühne. Das geschieht nun auch in seiner Düsseldorfer Aufführung. Der Beginn ist eine große Publikumsbeschimpfung. Die fünf Schauspieler pfeffern in einem lauten Rocksong Kraftausdrücke auf die Zuschauer und machen sie danach an. Wer will Millionär werden? Die Quizmasterin stellt die Fragen nicht mit der netten Verbindlichkeit des Schwiegermutterschwarms Günter Jauch, sondern im Tonfall einer entnervten Lehrerin. In jeder Bewegung steckt die Botschaft, dass es für sie auch schon die sechste Stunde ist. Das ist alles ganz okay, aber nicht besonders aufregend.

Spannend wird der interaktive Teil der Show. Plötzlich bauen Schauspieler und Techniker gemeinsam schwarze Stellwände auf, stellen Tische und Stühle hinein, schaffen vier Klassenzimmer. Die Besucher aus dem mittleren Block werden verteilt, die anderen bleiben sitzen und schauen zu. Ich hab eine Mitmachkarte erwischt, sitze plötzlich zwischen 16jährigen und schaue der schwangeren Schauspielerin Bettina Kerl zu, wie sie auf ihren Bauch deutet. Was ist da drin? Klar, Baby. Dann rechnet sie uns vor, wie viel Kindergeld sie in 18 Jahren bekommen wird. Und das ließe sich noch multiplizieren, wenn man mehr Kinder produziert. Mein – aus der Lebensperspektive eines 45-jährigen Familienvaters gespeister – Einwand, dass die Kleinen auch viel kosten, wischt sie beiseite. Das könne man ja so oder so regeln. Botschaft: Habt Sex, kassiert Kindergeld, kauft euch davon, was ihr wollt. Als praktische Übung wird noch ein Kondom zerstochen, um zeugungsunwillige Herren eines Besseren zu belehren.

In diesem Stil geht es weiter. Nach ein paar Minuten wechseln die Schauspieler die Klassen. Jeder muss laut sprechen, um die Kollegen hinter der Wand zu übertönen. Wir lernen Dinge fürs wahre Leben. Etikettenschwindel im Kaufhaus oder auch die Herstellung eines Molotow-Cocktails, den wir auf Angela Merkel schmeißen können. Problem: Die ist weit weg, in Berlin. Lösung: Auch in Düsseldorf gibt es Politiker, im Rathaus. Wisst ihr, wo das Rathaus ist? Die Schüler schauen stumm. In ihrem wahren Leben ist Terrorismus noch kein Schulfach.

Der Humor ist laut, derb, anarchisch, erinnert an die „Jackass“-Shows oder die Kinosatire „Borat“ von Sacha Baron Cohen. Die spielwütigen, schwitzenden, auf- bis überdrehten Schauspieler geben alles. Am Ende werden sie ruhig. Wir sitzen immer noch auf der Bühne und hören zu, wie sie im blauen Licht Träume einer zukünftigen Schule entwerfen. Dann wieder ein Bruch. Das Theater könne eigentlich gar nichts, sagt das Ensemble, es könne nur behaupten, etwas zu können. Abgang der Mimen. Skeptische Blicke. Was war das jetzt? Dann Jubel.

„Black Box Schule“ könnte inhaltlich fundierter sein. Das Programmheft gibt einige Anregungen, die auf der Bühne etwas untergehen. Da gibt es zum Beispiel einen hervorragenden Aufsatz von Barbara Kantel, der Leiterin des Jungen Schauspielhauses, eine „Ermutigung zum unangepassten Denken“. Das wird natürlich in den Schulstunden schon geübt, aber im Dauerfeuer der Reizüberflutung. Mag sein, dass damit ein 45-jähriger Familienvater nicht mehr so gut klar kommt wie ein 16-jähriger Schüler. Die Aufführung kann sich noch entwickeln, Potenzial hat sie. Und die Frage, was wieso gelernt wird und ob die Schule Persönlichkeiten bildet oder nur Menschenmaterial für die spätkapitalistische Wirtschaft, ist sehr wichtig. Schön, dass sie mal bissig und unangepasst gestellt wird.