Foto: Ensembleszene aus dem Schweriner Schneewittchen von Birgit Scherzer. © Silke Winkler
Text:Hartmut Regitz, am 17. April 2012
“… und sie lebten glücklich…” heißt es am Ende der Szenenfolge, bevor zu Musik von Pascal Comelade eine „Moral von der Geschichte” doch noch nachgeschoben wird. Längst haben sich hinter dem Spiegel alle Gutmenschen wie zu einem Gruppenfoto aufgereiht, und auch das Bunny ist dabei, das ein Herz nicht nur für Kinder hat. Allein, die Stiefmutter kommt wiederholt auf dem roten Läufer zu Fall, und so was erfreut nicht nur einfache Gemüter. Denn auch für Schwerin gilt die alte Erfahrung: Schadenfreude ist noch immer die reinste Freude.
“blutrot. schneeweiß. rabenschwarz” nennt Birgit Scherzer das Tanzstück, das sie für das Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin erarbeitet hat, an dem es ansonsten keinen Anlass zur Freude gibt. Ein Sanierungsplan verlangt eine Streichung von weiteren 79 Stellen, nachdem man seit 1991 ohnehin schon 320 Mitarbeiter weggespart hat. Da tut es gut, wenn jemand aus dem Vollen schöpft, und die ehemalige Chefchoreografin des Saarländischen Staatstheaters erweckt zumindest den Eindruck. Da wird an der Kostümierung nicht gespart, und Gera Graf hat sich dafür eine Menge schicker Sachen einfallen lassen. Auch das Bühnenbild von Michael Gruber bringt immer wieder die sieben Berge so wundersam zum Vorschein, dass sich der Zuschauer dahinter durchaus eine verzwergte Gesellschaft vorstellen kann. Dass es dort mit dem Personal allerdings nicht mehr zum Besten steht, merkt das Publikum erst auf den zweiten Blick: Unter den sieben Zwergen, die sich zwischendurch so sexistisch geben, findet sich auch eine Frau.
Vielleicht sollte man bei diesem Ballett nicht alles so genau nehmen. Birgit Scherzer hat zwar viel vor, und im Programmheft ist im Verhältnis Mutter/Tochter viel von “weiblicher Konkurrenz” zu lesen, von “tiefer Verunsicherung”, von “Lebensangst”. Auf der Bühne allerdings manifestiert es sich eher als Klischee, wenn sie die gekrönten Kinder allesamt wie Miniaturausgaben von Prinzessin Lillifee präsentiert. Hinzu kommt, dass viele Figuren choreografisch schwächeln, und lediglich Schlüsselszenen wie die “Schneewittchen-Revolution” oder “Ihr Retter” so eigen wirken, wie man sich das insgesamt für den 90-minütigen, pausenlosen Abend gewünscht hätte.
In der einen Szene positionieren Davina Kramer und Nao Matsushita ihre Eigenständigkeit auf eine Weise, wie man sie aus den besten Balletten von Mats Ek her kennt. In der anderen erinnert Tom Bergmann daran, wie kraftvoll, sprunghaft, emotionell Birgit Scherzer früher ihre Männer-Soli ausgeformt hat. Schade nur, dass das auf Kosten der Musik geschieht. Die Choreografin reiht hier nach Takten von Philip Glass ziemlich uneinsichtig Sprachcollagen von Hughes Le Bars, Streichquartett-Sätze von Beethoven, Stücke von Comelade und eine Komposition wie das „Adagio for Strings“ von Samuel Barber so aneinander, als wollte sie damit ihrem Publikum das Fürchten lehren. Davon kann allerdings keine Rede sein. Geradezu demonstrativ feierte es das Team um Birgit Scherzer und Ballettdirektor Jens-Peter Urbich, als gäbe es keine Einwände. Schließlich weiß es nicht, wie oft es dazu noch Gelegenheit hat.