Foto: "Hund, Frau Mann" beim Theaterspektakel an den Landesbühnen Sachsen © Hagen König
Text:Ute Grundmann, am 27. Oktober 2014
An Beziehungskisten aller Art wurde zum Saisonauftakt an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul gehämmert, gewerkelt und verzweifelt. Zu einem Theaterspektakel (wie es ähnlich in Rostock, Halle und Senftenberg die Saison eröffnete) spannte man neun Theater-, Tanz- und Musiktheater-Stücke zusammen und gab dem Ganzen aber gleich drei Titel mit. „Irrtümer 1“ lautete der erste (und kündigte damit weitere „Irrtümer“ in den nächsten Spielzeiten an). Der zweite Titel lautete „Familien-Wahn-Sinn“ und darunter wollte man von der „Kleinbürgerhochzeit“ als Figurentheater nach Brecht über die Tanzkantate „Les Noces“ von Igor Strawinsky bis zur musikalisch-szenischen Collage „Mozart-Wunderkind“ ein Thema finden und präsentieren. Und schließlich sollte der Untertitel „Ein Theaterspektakel von Adam bis Zölibat“ zum fünfstündigen Abend locken, an dem die Zuschauer jeweils drei Stücke sehen konnten, also zweimal wiederkommen mussten, um alles zu erleben. Nicht alle neun Inszenierungen wurden ins Repertoire übernommen, alle konnten und können aber von Gastspielorten gebucht werden. Mit diesen drei Titeln waren damit gleich drei Richtungen vorgegeben, die der Abend hätte nehmen können – das Spektakel versuchte, alle drei irgendwie zu bedienen.
Gemäß der Vorgabe, „von Adam bis Zölibat“ zu gelangen, ging es bei „Adam und Eva“ los, in der Komödienform, die Peter Hacks dem Thema gab, inszeniert vom Intendanten Manuel Schöbel. Auf einer quadratischen Spielfläche im großen Saal sah es dazu aus wie in einer Ferienanlage: Liegestühle, mit Handtüchern „reserviert“, Tischchen, Schirmen und über allem schwebt, natürlich, ein Apfel. In diesem Ambiente tummeln sich Gott in Morgenmantel und Flipflops, Gabriel als Hallodri mit Rollen an den Turnschuhfersen, Adam und Eva natürlich mit grün-blauem Bodypainting, und der Teufel natürlich. Der ist hier eine Teufelin in schwarz-rot-geflammtem Outfit, die sehr cool jede Geste, jeden Satz überbetont ausstellt, so wie sie es später auch als Schlange tun wird. Von dieser betonten Komik sind die ganzen 90 Minuten, in denen deutsch gesprochen und englisch gesungen wird (mit „What a Wonderful World“ an Anfang und Ende). Adam und Eva hüpfen neckisch als Paradieskinder durch die Szenen, bis die dumme Sache mit dem Apfel passiert (der im Riesenapfel versteckt ist). Allerdings kriegt die apfelkauende Eva eine gescheuert, als sie Adam bittet, das Gleiche zu tun. Diese aufgeregte Heiterkeit passt schwer zu Hacks‘ Sprachduktus, der zwar eine Komödie, aber kein Boulevardstück schrieb. Am Ende hagelt es Äpfel und es bleibt die Frage offen, ob die Inszenierung den „Irrtümern“ oder dem „Familien-Wahn-Sinn“ zuzurechnen ist – so richtig passt es zu keinem Titel.
Schon eher dem Familienwahnsinn zuordnen konnte man da Giacomo Puccinis Operneinakter „Gianni Schicci“, auch wenn dieser vor allem aus raffgierigen Verwandten eines just Verschiedenen besteht. Denen beschafft der Titelheld ein falsches Testament, das vor allem ihm selbst nutzt. Man hatte die Inszenierung aus einem Doppelabend mit Ruggero Leoncavallos „König Ödipus“ herausgelöst als den vermeintlich komischeren Teil der Doppel-Inszenierung von Holger Potocki (siehe oben der Link zur Kritik). Doch Heiterkeit mochte bei diesem Operneinakter kaum aufkommen, zeigte aber die wichtigste Richtung des Spektakels: Vor allem heiter und konsumierbar sollte es sein. Also wenn schon Familien-Wahn-Sinn, dann mehr Wahn als Sinn, eher das skurrile Scheitern als die Normalität (so es die gibt).
Darauf zielte auch Renat Saffiulins Inszenierung von „Hund, Frau Mann“ auf der Studiobühne. Sibylle Bergs böses Stückchen darüber, wie man Beziehungsgespräche über eine Nicht-Beziehung führt, wird hier aufgemischt mit viel Musik zum Spektakel vergeblicher Liebesmüh‘. Vor drei großen Chagall-Gemälden (hinter denen immer mal wieder zwei Gogo-Girls erscheinen) sprechen Hund (Boris Schwiebert), Frau (Sophie Lüpfert) und Mann (Michael Heuser) ihren Beziehungsfrust in Mikrofone, sie gibt die Bewegt-Verzweifelte, er den abgeklärten Zyniker. Die ewig gleichen, vorhersehbaren Gesprächsverläufe werden durchdekliniert, bis der Hund jault oder die nächste Musiknummer ansteht. Das Stück ist dann vermutlich der Familien-Wahn-Sinn, der hätte entstehen können, wenn die beiden „Übriggebliebenen“ sich getraut hätten. Doch Bergs gepflegte Bösartigkeiten werden immer schnell in Musik getaucht.
Einen anderen Weg ging Schauspieldirektor Peter Kube, der Roland Topors Komödie (wieder eine!) „Ein Winter unterm Tisch“ auf der Studiobühne inszenierte. Leise und melancholisch geht es da zu, wenn Florence (Julia Vincze) ihrem Untermieter Drago (Matthias Henkel) einen „Tisch über dem Kopf“ bietet und man sich langsam näherkommt. Ein vorsichtig verliebter Blick von ihm, ein verschämtes Erröten über ein Kompliment bei ihr, in kurzen, ein- und ausgeblendeten Alltagsszenen versuchen da zwei scheue Menschen, etwas unbeholfen, ihre Gefühle zugleich zu entdecken und zu verstecken. Bis Dragos lauter Cousin in die vorsichtige Zweisamkeit einbricht und es bis zum angedeuteten Happy End noch etliche Umwege braucht. Doch auch diese überzeugende, anrührende Inszenierung will nicht so recht ins Spektakel-Konzept passen. Zu den „Irrtümern“ ist sie kaum zu rechnen, und bis zwischen den beiden vorsichtig Verliebten der „Familien-Wahn-Sinn“ ausbrechen könnte, wäre es noch ein langer Weg, den Topors Stück aber nicht erzählt. Dem ganzen Auftakt-Spektakel aber hätte mehr solcher Nachdenklichkeit, mehr solcher Substanz gutgetan.