Aus Goethes Vorlage hat Xin Pang Wang einzelne Motive herausgelöst und in den Rahmen der zentralen Wette zwischen Faust und Mephisto eingebettet. Wangs Choreographie nimmt konkret Bezug auf die Vorlage, lässt aber auch zeitkritische Deutungen zu. Der Geldscheine herbeizaubernde Mephisto beispielsweise (in der Premiere sehr charaktervoll getanzt von Dann Wilkinson, der diese Figur schon in Wangs „Faust I“ tanzte), steht inmitten einer feiernden, maskierten Gesellschaft einerseits für die Huldigung des Kapitals in der kaiserlichen Pfalz, wie sie in der Vorlage beschrieben wird. Andererseits transportiert Xin Peng Wang dieses Bild in die Jetztzeit: Zu Louis Andriessens nahezu parodistischer Bearbeitung von Beethovens 9. Sinfonie (die Dortmunder Symphoniker spielen ausgewogen unter der Leitung von Philipp Armbruster) hisst Mephisto die Europaflagge. Das nach den Geldscheinen greifende Corps de ballet steht nun endgültig für unsere moderne Gesellschaft, unstillbar gierig nach mehr Kapital und Vergnügen. In ihrer Lesbarkeit sehr konkret sind auch die Szenen des erwachenden, später tanzenden Homunculus (Giacomo Altovino). Ansonsten bleiben die choreographischen Rückgriffe auf die Vorlage vielfach auch sehr assoziativ und frei: so taucht beispielsweise Margarethe in einem Rückgriff noch einmal auf. Herausragend sind an diesem Abend die Tänzer, allen voran Lucia Lacarra (als Helena und Margarethe), die ihr Können unter anderem in einem wunderschönen Pas de deux mit Faust (ebenfalls stark: Marlon Dino) beweist.
Während sich im ersten Teil die Erzählebenen noch nebeneinander her entwickeln, werden sie im zweiten Teil endlich konkret miteinander verzahnt, als es wiederum um eine Fluchtgeschichte geht. Im Zentrum steht nun ein berühmtes Einzelschicksal: der vielfach fotografierte, syrische Junge, der im Mittelmehr ertrank und an die türkische Küste gespült wurde. Langsam rollt ein Kind (Madita Herzog) nach vorn, bleibt in der bekannten künstlichen Haltung am Boden liegen, um nach einer Weile langsam wieder aufzustehen. Vorsichtig deutet es Flügelschläge an, symbolisiert auch Fausts und Helenas früh verstorbenen Sohn Euphorion: Zärtlich nimmt Faust es in seine Arme. Es folgt Fausts Erlösung, vertanzt als Sieg über Mephistopheles. Spätestens mit diesem hoffnungsvollen Schlussbild wird Xin Peng Wangs Haltung zu der Vorlage deutlich, die er sowohl choreographisch als auch inszenatorisch eindrucksvoll mit unserer Gegenwart zu verbinden weiß.