Foto: Der Prozess
von Franz Kafka
Regie: Pınar Karabulut © Krafft Angerer
Text:Martina Jacobi, am 1. Dezember 2023
Das Schauspiel Köln zeigt Franz Kafkas „Der Prozess“. Gruselig zeigt Regisseurin Pınar Karabulut in ihrer Inzenierung menschlich Irres.
„Wie kann ein Mensch überhaupt schuldig sein?“, resümiert der Gefängnismaler Titorelli. „Wir sind doch alle nur Menschen“, würden die Schuldigen sagen. Diese Ausweglosigkeit ergreift das Publikum gleich zu Beginn der Premiere von Pınar Karabuluts Fassung und in ihrer eigenen Regie von Franz Kafkas „Der Prozess“ im Depot 1 des Schauspiel Köln.
Die erste Szene mit Josef K.s Verhaftung, die er als einziger nicht zu begreifen scheint, zeigt Karabulut auf Leinwand (Video: Susanne Steinmassl). Verzerrte Perspektivwechsel, ein Spiel mit beengender Nähe und Verlorenheit im Raum. Immer wieder aus dem Bild rausgehen und nirgends ankommen. Die Schnitte sind zu schnell, die Truman Show nimmt ihren Lauf und der Mensch, hier der immer in rot gekleidete (Kostüme: Teresa Vergho) K., kommt nicht mit, wird menschlich irre. Verhaftet von Wächtern in Leder, süffisant, gleichgültig — gruselig, wenn sie schallend lachen, weil sie die Welt anders als K. zu durchblicken scheinen. Es ist eine eingeschworene Gesellschaft rund um K., die Teil des ihn umfangenden Prozesses, seines Weltverfahrens ist.
Keine Erlösung
Es gibt nicht einen K., es gibt sechs: Alexander Angeletta, Nicola Gründel, Yvon Jansen, Lola Klamroth, Bekim Latifi und Sabine Waibel sowie Jonas Grundner-Culemann, Kei Muramoto und Nicolas Streit im Video allesamt in starker Darbietung. Allein oder zu mehreren auf der Bühne zeigen sie vorwärts und rückwärts zuckend, sich biegend und röchelnd nach Luft schnappend, eine Choreografie, die das innere nicht-aufschreien-Können zeigt, denn K. findet den Grund, die Erlösung nicht. Der Gefängnismaler Titorelli, der Gefängniskaplan, die Wächter, Leni und Kaufmann Block sind absonderliche Figuren darum herum: Leni ein verführendes, unschuldiges Sadomaso-Girl und der Onkel übergeht sich mit quietschender Stimme in familiären Sorgen, schließlich geht es um den guten Ruf.
Der Prozess von Franz Kafka. Regie: Pınar Karabulut © Krafft Angerer
Das Spiel hat etwas Skurriles wie in Wes Anderson-Filmen, die Ästhetik erinnert auch an Gemälde von Edward Hopper: irgendwie leer, eine gewisse Ödnis umfassend. Durch eingeschobene Wände ist der Bühnenraum immer in Bewegung (Bühne: Michela Flück). Dann gibt es einen riesigen grünen Hintergrund, einen Greenscreen, der sich unten nach vorne biegt wie eine Halfpipe; die Schatten der Schauspieler:innen ragen darauf als krumme Unmenschen über ihnen selbst (Licht: Michael Frank). Es gibt kein Oben, kein Unten, K. verliert den Boden unter den Füßen, eine riesige, bewegliche Hand pflückt ihn von oben und als sie ihn doch loslässt, klammert er sich selber an sie, dann wiederum hält die Hand K. am seidenen Faden — wie es in Kafkas Text auch heißt: „Vor allem ist der Freie dem Gebundenen übergeordnet. […] er kann hingehen, wohin er will, nur der Eingang in das Gesetz ist ihm verboten.“
Kurzweillig berührend
Innerliche wie äußerliche Beengung wird szenisch sehr gelungen dargestellt. Wände schieben sich zu, als Hunde erschnuppern die Darsteller:innen K.s Unschuld, während im Hintergrund mit ein paar Grabsteinen ein kleiner Friedhof angelegt wird. Bei Karabulut findet K. keinen Ausweg, er hängt in der Matrix fest, im Loop, im Instagram-Boomerang und rennt immer wieder gegen die Wand. Schließlich bedeutet, den Prozess verlieren, gestrichen zu werden, gecancelt aus dieser Welt. Der Regisseurin gelingt ein kurzweiliger Abend, der außerdem berührt. Es ist eben nicht eine Parallelwelt, sondern es ist die Welt, in der wir leben.