Foto: The Medium: Meredith Arwady (Madame Flora; am Lampenschalter ziehend) und Ensemble © Barbara Aumüller
Text:Ulrike Hartung, am 16. Juni 2019
Der Trend geht zur Zweitoper: Kombinationsabende wie diesen finden sich immer öfter auf deutschen Spielplänen und an der Oper Frankfurt hat das mittlerweile schon fast Tradition. Mit Gian Carlo Menotti und Bruno Maderna fiel die Wahl auf zwei sehr unterschiedliche Komponisten, die eigentlich wenig mehr als ihre italienische Herkunft verbindet. Menotti, der für Fernsehen und Broadway schrieb und dessen Stil klar von diesen musikalischen Traditionen beeinflusst ist, trifft hier auf Maderna, der dem Umfeld der Darmstädter Ferienkurse für neue Musik entstammt und somit eher in der Tradition seriellen Komponierens steht. So unterschiedlich die Komponisten sind, so sehr sind es auch ihre Stücke. Menottis Schauergeschichte zwischen E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ und „Les Misérables“, die sich in ihrer Vertonung stilistisch nicht nur extensiv bei Puccini und Mussorgski bedient, sondern auch stark von der Filmmusik seiner Zeit geprägt ist, steht einem bacchantischen Fest voller Exzesse gegenüber, das auf einem römisch-antiken Romanfragment basiert und sich in Form eines frei kombinierbaren Nummernkompendiums musikalisch eher an der Operngeschichte reibt, als dass es in ihr schwelgt.
The Medium
Hans Walter Richters Inszenierung von „The Medium“ sieht in Menottis Oper ein kammerspielartiges Psychogramm seiner durch Traumata seelisch vernarbten Figuren, die von den psychosozialen Abgründen ihrer Entstehungszeit stark gezeichnet sind. Baba, die sich, ihre Tochter Monica und den stummen Waisenjungen Toby mit inszenierten Séancen durchbringt, ist eine herrsch- und trinksüchtige Tyrannin, die, selbst traumatisiert, durch Lebensumstände vom Opfer zum Täter geworden ist (mit Kraft, Wucht und einer beeindruckenden Präsenz von Meredith Arwady verkörpert). Die Geister ihrer Vergangenheit holen sie jedoch ein, was zu Gewalt, Misshandlung und schließlich Tobys Tod führt.
1946 uraufgeführt, wurde die Oper 1948 verfilmt. Richters Inszenierung scheint von diesem Film geradezu besessen, so viel findet sich daraus auf der Bühne wieder: die manipulierte Lampe für Lichteffekte, der Vorhang, hinter dem sich Monica versteckt und die Stimmen der Toten gibt, die Treppe für Auf- und Abtritte und sogar die mitkomponierte Peitsche, mit der Baba Toby misshandelt. Wie im Film sehen wir die Figuren ausschließlich in Babas Séancen-Zimmer, wobei auch die Art, wie diese sich bewegen und interagieren, sich stark an der Ästhetik des Films orientiert. So erscheint die Inszenierung mehr als Adaption des Films für die Bühne. Dabei bietet das Stück gerade medial und historisch viel Reibungsfläche für eine Auseinandersetzung, die weit hinausgehen kann über eine Adaption von Menottis filmischer Produktion. Die Orientierung am Film hat ihre szenischen Schwächen, die sich vor allem in der Gestaltung der Bühneneffekte besonders deutlich zeigen. Untote, die mit kalter Hand nach den Lebenden greifen, Kinderlachen aus dem Reich der Toten und ein Mord liefern geradezu ideale Voraussetzungen, in Sachen Theatermaschinerie so richtig aus dem Vollen zu schöpfen. Leider wirken diese Szenen aber eher angestaubt, ein bisschen wie aus der Geisterbahn und kommen, gerade was Tobys Ableben angeht, leicht dilettantisch daher. Das ist zu bedauern und steht in großem Kontrast dazu, wie sehr sich alle Beteiligten auf und vor der Bühne ins Zeug legen. Der sehr junge Marek Löcker als Toby verausgabt sich, um der Verzweiflung und Zerrissenheit seiner Figur Ausdruck zu verleihen. Louise Alders Sopran (Monica) lässt ebenfalls keine Wünsche offen, auch ihr Spiel ist der kraftvollen Präsenz Arwadys als Baba durchaus ebenbürtig.
Musikalisch steht „The Medium“ in bestem Licht: Nikolai Petersen präsentiert die Komposition in einer brillanten Klarheit, die mit viel Fingerspitzengefühl eher ihre modernen Anteile statt ihre opulenten Anleihen in den Vordergrund stellt. An der musikalischen Seite liegt es nicht, dass der erste Teil des Abends nicht nur konservativ, sondern bedauerlicherweise auch hinter seinen szenischen Möglichkeiten weit zurückbleibt.
Satyricon
Auch Madernas „Satyricon“ bietet jede Menge Möglichkeiten zum szenischen Exzess. Der ehemalige Sklave Trimalchio, der zu Geld gekommen ist, hat mit seiner Frau Fortunata Gäste zu einem Festessen der Superlative geladen. Er ist der klassische Neureiche, der – typisch für seine Gattung – auf vielfältige Art zeigt, dass sich Geschmack, Stil und Klasse nicht kaufen lassen. Paradoxerweise bleiben die kulinarischen, sexuellen und makabren Ausschweifungen des Stücks szenisch lediglich in Andeutungen, die wiederum den Rahmen des Geschmackvollen niemals sprengen. Über Bondageseile, Latexröckchen und Plüschbananen geht es hier nicht hinaus, was vielleicht etwas brav, aber in seinem Arrangement nie unstimmig ist.
Die Zusammenarbeit von Regie (Nelly Danker) und musikalischer Leitung (Simone Di Felice) scheint in jedem Fall außergewöhnlich gut funktioniert zu haben. Denn es gibt in Madernas Oper keine Handlung im herkömmlichen Sinne und doch erscheint dieser bunte Musik- und Bilderreigen sehr organisch und beinahe übergangslos von einer Szene in die nächste zu gleiten. Das macht sehr viel Spaß anzusehen und ist in jedem Moment kurzweilig, ohne bloß unterhaltend zu sein. Peter Marsh ist ein großartig exaltierter Trimalchio, der seine Frau, die Gäste und Sklaven mit starker Hand und gleichzeitig faszinierender Leichtigkeit zusammenhält. Scintillas Vokalisen (Ambur Braid), gesungen im Akrobatentuch kopfüber von der Decke hängend, sind dabei so beeindruckend wie das homoerotische Sklaven-„Ballett“ im Silbercatsuit spitzfindig und witzig ist. Viel Liebe zum Detail steckt sowohl in der Inszenierung als auch in der musikalischen Performance.
Die Flexibilität in der Gestaltung, die Madernas Stück zulässt, ist die große Chance, Potenziale von Musiktheater jenseits hermeneutischer Befragung der immergleichen Werktexte auszuloten, aber auch eine mindestens ebenso große Herausforderung. Die offene Form einerseits und der humoristische Eklektizismus in der Musik, der immer wieder mit der modernen Strenge des kompositorischen Umfeld Madernas zusammenprallt, bieten andererseits einzigartiges Material für eine Bühnenarbeit, die keine Angst vor ihren eigenen Mitteln hat. In diesem Sinne hätte dem Doppelabend eine große Portion Mut in der Auslotung seiner gestalterischen Möglichkeiten gutgetan.