Die zentrale Hürde am Eingang zur Diskothek ist bekanntlich der Türsteher – ihm kommt hier eine Art Schlüsselrolle zu. Dieser Reinlasser und Rausschmeißer, ganz in Weiß und cool bis auf die Knochen, startet mit elektronisch verzerrter Stimme die Rhythmusmaschine; und einige (die „auf der Liste“ sind, der Gästeliste) dürfen drinnen im Tanzpalast gleich auf ein Laufband wie in der Muckibude nebenan; Regisseur Ivan Panteleev und die Ausstatterin Yanjun Hu haben Tanz und Bewegung ganz und gar aus dem Menschlichen ins Maschinelle übersetzt. Denn selbst die, die vorerst noch draußen bleiben müssen, hocken auf Fahrrädern – und treten so kräftig in die Pedale, als müssten sie damit den Lichtgenerator im Theater antreiben.
Schnell wird’s politisch – denn draußen vor der Disko ziehen Fremde vorbei, Geflüchtete. Dürfen die rein, fragen sich die Laufband-Tänzer drinnen – und nach einigem Hin und Her stimmt sogar „der besorgte Bürger“ drinnen zu. Was für kurze Zeit zu drangvoller Enge im Eingangsbereich führt – und der Türsteher kommt schon hier nicht mehr durch und mit. Das hat doppelten Sinn – denn als kurz darauf, mitten in allgemeiner Anmache und Flirt hinüber und herüber, in der Disko ein Mord per Messerstick geschieht (und die Gruppen drinnen einander schon die Schuld zuschieben wollen), ist es dieser Türsteher, der nach und nach alle abmurkst, auch den besorgten Bürger. „Wir schaffen das“ war schön und gut gemeint – aber die eigenen Nachbarn, die, die einst ja auch „Wir sind das Volk“ in einer Art Disko-Rhythmus riefen, hat niemand mitgenommen. Am Ende bleibt Mohamed, dem Flüchtling, nur ein trauriger Rap-Sprechgesang über viele vertane Chancen.
Wolfram Hölls Text, entstanden nach zwei Jahren Schreibpause, ist in der Botschaft klarer als sonst; sprachlich und formal liefert „Disko“ dazu aber wieder ein Kunst-Stück aus Sparsamkeit und Berechnung – eine musikalische Partitur. Schon das Stück selbst gibt diese Musikalität vor; mit pop-musikalischen Zitaten und der wirkungsvollen Methode, „falsche“ Betonungen sorgsam dosiert auf „richtige“ Rhythmus-Beats zu legen, ist es tatsächlich auch chorisch und als Sprechgesang zu lesen. Aber natürlich (und wie immer bei Höll) braucht’s die gestalterische Kraft der Inszenierung und des Musikers Jan-S. Beyer, damit der an sich überschaubare Text in 75 konsequent durchrhythmisierten Minuten die kompakte, geschlossene Form erreicht; mit einem ebenfalls extrem kompakten Leipziger Ensemble, bestehend aus sieben Schauspielerinnen und Schauspielern.
Wieder war die Mülheimer Auswahljury (die die um den Dramatikerpreis dieses Jahres konkurrierenden Stücke ja in Kürze vorstellt) komplett in Leipzig zugegen – und wer weiß: womöglich hat Hölls „Disko“ auch diesmal wieder das Zeug zum Favoriten.