Elfriede Jelineks "Rein Gold" als Musiktheater von Nicolas Stemann

Wenn Papa den Kredit nicht zurückzahlen kann…

Elfriede Jelinek/Nicolas Stemann: Rein Gold

Theater:Staatoper im Schiller Theater, Premiere:09.03.2014Regie:Nicolas StemannMusikalische Leitung:Marcus Poschner

Dass über diesem Abend „Rein Gold“ ohne „h“ steht, verweist zunächst mal augenzwinkernd auf Richard Wagner. Die Bezeichnungen „Bühnenessay von Elfriede Jelinek“ und „Musiktheater von Nicolas Stemann“ benennen ein bewährtes Gespann aus österreichischer Nobelpreisträgerin und deutschem Regisseur. Der hat schon viele ihrer Texte uraufgeführt, kann also ein Lied davon singen, wie man aus selbstreferenziellen, Sprache erforschenden Endlosmonologen bühnentaugliche Veranstaltungen macht.

Diesmal hat er zusätzlich Richard Wagners Ring-Musik auf seiner Seite und mit dem Bremer GMD Markus Poschner auch einen der (mittlerweile) experimentierfreudigsten Dirigenten am Pult der Staatskapelle. Die verlässt zwar im Laufe des Abends zweimal komplett ihre Plätze. Wenn sie aber da ist, demonstriert sie ziemlich souverän, dass sie noch im Ringmodus läuft. Was notfalls auch so eine Art Rückwärtsgang einschließt. Und auch das, was David Robert Coleman dazu komponiert hat und von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel mit Elektronik und Synthesizer gekonnt hinzufügt wird, wird mühelos ins Große Ganze integriert. Wobei das natürlich hinreichend offen für alle möglichen Sinn- und Akustikassoziationen ist.

Das Verblüffendste an diesem „Rein Gold“ ist die Affinität, die Stemann zwischen der Wagnerschen Leitmotivik und dem nach einem ähnlichen Strickmuster verfertigten Jelineksound aufspürt, um daraus Bühnen-Funken zu schlagen. Im Grunde ist alles ein Vater-Tochter Gespräch zwischen Wotan und Brünnhilde, was natürlich mehr zu einer Tochter-Revolte wird. Der Göttervater (Jürgen Linn) bleibt stimmgewaltig bei Wagners gesungenen O-Tönen, preist den prangenden Bau oder zelebriert seinen Abschied von der Tochter. Deren „Wo-bist-du-Papa“ Hinterfragen freilich ist wortreich abschweifend zwischen den Schauspielern Philipp Hauß, Katharina Lorenz und Sebastian Rudolph aufgeteilt. Man könnte sogar sagen in ihre Hände gelegt, denn sie haben (wie bei Stemann-Inszenierungen nicht zum ersten Mal und auch nicht unbedingt zu deren Vorteil gereichend) die Manuskriptseiten alle noch in den Händen. Und verblättern sich da auch schon mal. Das passiert den Musikern der Staatskapelle zum Glück nicht.

Der Text selbst bleibt im vorhersehbaren Korridor einer typischen Jelinek- Endloswortkasskade, diesmal mit spezifischer Wagner-Grundlage und ihren üblichen diversen Lieblings-Nebenkriegsschauplätzen aus der Gegenwart. Das glänzt, wo dem eher untergründig wabernden Subtext-Witz das souveräne und vorwitzige Spiel mit der Struktur des Rings entgegengesetzt wird. Wotans Abschied und Brünnhildes Schlussgesang als Dialog – das hat was. Die Autorin scheut aber auch die direkte Publikumsanmache nicht, baut mögliche Rufe nach dem Ende mit ein, verführt dazu, dass alle im Saal mal auf stehen, um sich dann wieder zu setzen, sprich zu widersetzen. Aus den Nibelungen werden auch mal die Nie Gelungenen… etc. Jelinek eben.

Zwischenapplaus gibt es, wenn die stimmgewaltige Rebecca Teem als singendes Wotanskind Brünnhilde nach dem „Heil dir Sonne“ einen veritablen Versuch startet, um Siegfried zu verführen. Philipp Hauß kommt dabei erst ins Stottern und wirft sich dann todesmutig und grandios scheiternd in den Gesangspart Siegfrieds. Viel besser sind da natürlich die in Funkelrobe und mit Spielwitz immer wieder ans Rheingold mit „h“ erinnernden Rheintöchter Narine Yeghiyan (Woglinde), Katharina Kammerloher (Wellgunde) und Annika Schlicht (Flosshilde).

Die Jelinek destilliert natürlich aus Wagners Weltessay ihre Geld-, Kapitalismus- und Entfremdungskritik wortreich heraus. Was entlang von Wotans Finanzierungsgebaren beim Hausbau ganz gut funktioniert. („Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie.“) Da haben die Spekulanten, die den Untergang ihrer Welt als vertretbares Risiko einkalkulieren, endlich einen Übervater. Beim dozierenden Exkurs über das Verhältnis von Ware und Geld-(scheinen), da kommt sie auf dem Weg zu Marx dann doch gehörig ins Stolpern und könnte selbst bei Mephisto noch was lernen.

Wenn am Ende Wotan im Wohnwagen anrollt, ein Pink Panther auftaucht und Leichen aus dem Schnürboden stürzen und wir plötzlich mitten in den Bildern sind, die der NSU dem Gegenwartsdiskurs geliefert hat, dann ist das vielleicht etwas überstrapaziert, hat aber Fallhöhe.

Unterm Strich kommt raus, dass die Gattungsbezeichnung Bühnenessay-Musiktheater ganz gut trifft. Vergleicht man das Wagner-Destillat, das etwas über der echten Rheingold-Länge liegt, mit der originalen Ringstruktur, so mag das, selbst mit all den Abschweifungen, Brüchen, (etwas überstrapazierten) leitmotivischen Wiederholungsschleifen und Collagen, als eigenwillige Annäherung durchgehen. Den Raum, mit dem Katrin Nottrodt auf die Dauer-Baustelle des Hauses Unter den Linden anspielt, füllen sie schon deshalb, weil das Orchester mit auf der Bühne ist. Wenn es zu einem anschwellenden Crescendo nach vorne fährt, wird es selbst nicht nur zum eindrucksvollen Klang-, sondern auch zum Bilderproduzenten.

Als Schmankerl wird auch noch eine technische Innovation vorgestellt: ein „i-Schwert“ – sieht aus wie weiland Nothung, kann aber alles, was die Geräte können, die sich mitunter in der Vorstellung zu Wort melden und von der Autorin natürlich auch zur Munition für ihre Angriffe auf den Zeitgeist werden. Augenzwinkernd auch der Schluss. Nach dem Poschner einfach abrupt abgebrochen hat, geht ein kleines Mädchen ans Steuerpult und setzt eine Bandeinspielung mit dem verhalten optimistischen Schluss in Gang. Zusammen mit dem illusionistisch durchscheinenden Vorhang, der dann fällt, ist das näher an der Opernhauswirklichkeit in Berlin, als uns allen lieb ist. Am Ende kein Widerspruch aus dem Saal, sondern nur einhelliger Beifall.