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Wenn Medea dreimal klingelt

Luigi Cherubini: Medée

Theater:Oper Stuttgart, Premiere:03.12.2017Autor(in) der Vorlage:EuripidesRegie:Peter KonwitschnyMusikalische Leitung:Alejo Pérez

Peter Konwitschny inszeniert an der Oper Stuttgart eine deutschsprachige Fassung von Luigi Cherubinis Oper „Medée“.

Medea ist schon ein ziemlich krasser Charakter. Wenn die bei mir klingeln und fragen würde, ob sie nicht mal für ein paar Stunden auf die Kinder aufpassen soll – also ganz ehrlich: Da würde mir auch das Herz in die Hose rutschen. In Bezug auf Peter Konwitschnys „Medea“-Inszenierung an der Oper Stuttgart ist das mit dem Klingeln wörtlich zu verstehen: Immer wieder unterbricht das Schrillen der Türglocke die mehr oder minder fröhlichen Gesänge, die der Vorfreude auf die Hochzeit zwischen Iason und Kreusa gelten. Und immer wieder geht ein kleines Erschrecken durch die schrill aufgetakelte Gesellschaft. Um dieser Hochzeit willen nämlich hatte Iason eben jene Medea schnöde sitzen lassen und die Kinder mit sich genommen. Und da die Dame nicht nur eine griechische Mythenheldin, sondern im Nebenberuf auch noch eine Zauberin ist, besteht zur Sorge jeder Anlass. Vorerst aber bringt der Postmann nur scheußlich bunt verpackte Geschenke für Iason und die beiden drallen Knaben. Denn hier wird maßlos konsumiert, und der Verpackungsmüll fliegt achtlos ins Meer. Beim letzten Klingeln aber ist Schluss mit lustig, denn da steht die Ex tatsächlich in der Tür: eine Gestalt aus wilder Vorzeit mit medusenhaft zerzaustem Haar, in düsterdunkelrotem Kleid und schwarzem Soldatenmantel. Die Stimmung sinkt schlagartig auf den Gefrierpunkt.

Seit Maria Callas den Charakter dieser Titelheldin mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus hoher Kunst und heißer Emphatie zum Klingen gebracht hat, genießt Luigi Cherubinis „Medea“ zumindest unter den Belcanto-Bewunderern eine gewisse Popularität. Das heißt allerdings nicht, dass diese Bewunderer die Oper auch wirklich kennen. Denn die Fassung, die der Komponist Vito Frazzi und der Dirigent Tullio Serafin für eine Produktion beim Maggio Musicale Fiorentino 1953 herstellten, basierte auf einer 1909 an der Mailänder Scala uraufgeführten Bearbeitung von Carlo Zangarini, an der – neben vielen anderen – zwei grundlegende Faktoren nicht stimmten: erstens die italienische Sprache, denn Cherubini wurde zwar 1760 in Florenz geboren, siedelte aber 1788 nach Paris über und wurde dort zu einem der führenden Komponisten der Revolutionszeit; und zweitens die Rezitative, denn Cherubinis „Medée“, wie sie französisch heißt, war (wie Bizets „Carmen“ ursprünglich auch) eine Opéra comique. Was aber nach zeitgenössischem Verständnis nicht etwa eine komische Oper bezeichnete, sondern lediglich bedeutete, dass zwischen den Nummern gesprochene Dialoge eingefügt waren.

Ein Erfolg war die Uraufführung 1897 in Paris nicht. Heute gehen die meisten Interpreten zwar davon aus, dass die tiefe Verunsicherung, die Medea auf die Gesellschaft von Korinth ausübt, ein Spiegelbild der revolutionären Erschütterungen in Paris sein könnte. Das Problem dabei ist nur, dass diese Heldin der griechischen Mythologie, die in Cherubinis Oper die überragende Hauptrolle spielt, alles andere als eine Identifikationsfigur ist. Schon bevor die grausamen Ereignisse in Korinth einsetzen, von denen Cherubini und sein Librettist François-Benoît Hoffman erzählen, hat diese Frau einiges auf dem Kerbholz. Dass sie in ihrer Heimat Kolchis den Argonauten aus Liebe zu deren Anführer Iason beim Raub des Goldnen Vlieses hilft und damit ihre Familie und ihre Heimat verrät, ist fast noch ein Bagatell-Vergehen. Auf der Flucht vor den Kolchern aber lässt sie ihren jüngeren Bruder Apsyrtos zerstückeln und ins Meer werfen, so dass die Verfolger gezwungen sind, die Leichenteile zu bergen und den Königsohn entsprechend den religiösen Riten zu bestatten. Zurück in Iasons Heimat Iolkos räumt sie den Usurpator Pelias aus dem Weg, indem sie dessen Töchtern vorführt, wie sie einen Widder zerstückelt und kocht, bis aus dem Kessel ein putzmunterer junger Widder hervorgeht. Sie stiftet die Mädchen an, ihrem schon etwas klapperigen Vater doch auch so eine Verjüngungskur angedeihen zu lassen. Die Mädel schreiten zur Tat, vom Schlachten bis zum Kochen klappt auch alles prima, aber als Pelias gar ist, da ist er nicht verjüngt, sondern tot. Mission completed – Iason und Medea allerdings müssen erneut fliehen. Und mit dieser Vorgeschichte auf dem Konto steht das Paar irgendwann bei den kultivierten Korinthern vor der Haustür…

Medeas Zerrissenheit zwischen radikaler Liebe zu Iason und ebenso radikaler Rachsucht für seinen Verrat an ihr faszinierte offenbar Cherubini. Seine Musik ist geradezu das Psychogramm einer Extremistin, die es nicht hinnimmt, dass Iason sie verstößt und sich durch die Hochzeit mit der korinthischen Königstochter Kreusa Asyl und ein neues Leben erkauft, von dem sie ausgeschlossen bleiben soll. Ihre Rache bleibt ihrem Ruf nichts schuldig: An Kreusa schickt sie als Hochzeitsgeschenk ein Kleid, das an deren Körper in Flammen aufgeht und die Braut gleich mit. Und die gemeinsamen Kinder mit Iason tötet sie. Am Ende geht mit Gewitter und Flammen die Welt unter – eine griechische Götter- und Heldendämmerung, die die alte Gesellschaft hinwegfegt, aber keine neue erkennen lässt.

Was macht ein Regisseur mit so einer Heldin? An der Oper Stuttgart sorgt Altmeister Peter Konwitschny für klare Verhältnisse, indem er das Inkommensurable des Medea-Mythos auf eine handliche Gesellschaftskritik herunterrechnet. Medeas Grausamkeit ist quasi die Kehrseite der Ausgrenzung durch eine depravierte, ausländerfeindliche, versoffene und korrumpierte Gesellschaft. In der Ausstattung von Johannes Leiacker kleidet sich dieses dekadente Pack zu alledem auch noch nach einem grausam schlechten modischen Geschmack, und die Küche hält es auch nicht sauber. Leiacker hat die Korintherinnen in bonbonbunte Festkleider und die Korinther in knallpopfarbige Anzüge gesteckt, die Hochzeit findet in einer schedderigen Küche mit schmierigen Kacheln statt, und bei jeder Gelegenheit hat die Feiergesellschaft die Pulle am Hals. Außerdem frönen sie alle der Konsumsucht, und von Müllvermeidung haben sie auch noch nichts gehört – am Ende sieht man, dass das Küchengeviert auf einem Meer von Abfall schwimmt. König Kreon ist ein eitler, herzschwacher Beau, der sich von Medea zum Dank dafür, dass er ihr einen Tag Aufenthaltsrecht gewährt, erst mal einen blasen lässt. Seine Gefolgsleute halten sich derweil an ihre Dienerin Neris. Iason ist ein hin- und hergerissener Taktierer, Kreusa ein verdrücktes Hascherl. Da bleibt kein gutes Haar an den Korinther Banausen – bei so viel Verkommenheit, so suggeriert die Inszenierung, da muss man doch einfach zur Furie werden.

Aber ist das nicht allzu einfach? Man wird an diesem Abend den Eindruck nicht los, dass die Musik das Leid und die Würde der Beteiligten viel ernster nimmt als die Regie. Und das ist nicht das einzige Manko. Ein weiteres liegt darin, dass hier nicht italienisch (was philologisch falsch wäre), aber eben auch nicht französisch gesungen wird, sondern Deutsch – sogar in so guter Artikualtion, dass es das Verständnis der Handlung in der Tat erleichtert. Aber der saloppe Alltagsjargon, den Peter Konwitschny den Dialogen verpasst hat, macht die meisten Figuren klein, fast belanglos. Und die Übersetzung von Bettina Bartz und Werner Hintze stellt dem Gesang die Klippenlandschaft harter deutscher Konsonanten entgegen, an dem sich der Fluss der Melodien immer wieder bricht. Das war in diesem Fall auch deshalb schade, weil in Stuttgart unter der Leitung des Gastdirigenten Alejo Pérez eine vorzügliche Ensembleleistung von Solisten, Choristen und Orchester und eine ausgesprochen facettenreiche, schlanke, aber spannungsvolle musikalische Interpretation zu erleben war. Das war kein Startheater, bei den Sängern der Hauptpartien waren durchaus Defizite zu bemerken. Aber sie alle konnten musikalisch bestens miteinander, von Pérez vereint zu einem vielschichtig vitalen Klangbild

In der Titelpartie gelang es Cornelia Ptassek, durch stilsicher dosierte expressive Vehemenz ihrer Figur vokale Seele und Kontur zu geben. Nur in tieferen Lagen verlor ihr Sopran an Substanz, was allerdings in dieser Partie ein gewisses Manko ist. Sebastian Kohlhepp sang den Iason mit klarem, schlankem und ausgesprochen kultiviertem Tenor, blieb im „freundlichen“ Stimmklang aber vielleicht ein bisschen zu „nett“. Shigeo Ishino als Kreon gab mit kraftvollem Nachdruck und leicht aufgerautem Timbre einen miesen Kretin von ziemlich eindimensionaler Statur, was der Inszenierung entsprach. Josefin Feiler war eine jugendlich helle, zuweilen etwas gepresste Kreusa, und Helene Schneiderman in der Partie der Neris sang ihre prominente Arie, vom Fagott ausgesprochen wohlklingend begleitet, mit viel Ausdruckskraft. Vorzüglich klangvoll und präsent war auch diesmal wieder der von Christoph Heil einstudierte Chor. Am Ende begeisterter Beifall.