Foto: Fabio Menéndez in Roberto Ciullis Pirandell-Inszenierung im Theater an der Ruhr. © Andreas Köhring
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 24. November 2011
Die Wahrscheinlichkeit spricht gegen einen Ehebruch. Der zu einem kugelrunden Popanz aufgeblasene Respi (Albert Bork) presst seine Wut als Wortstakkato heraus. Ausgerechnet er soll mit Gräfin Bice (Simone Thoma) ein Verhältnis haben. Mit dieser Prinzessin Turandot, die unter ihrem eleganten turmartigem Kopfputz eine eisige Unnahbarkeit zur Schau trägt. Doch ihr Mann Romeo Daddi soll schon Schubladen durchsucht haben und dem Wahnsinn nahe sein – heißt es.
Es ist ein Wahnsinn pirandellinischer Art. Das Theater Mülheim an der Ruhr hat das vorletzte Stück des italienischen Dramatikers – die Uraufführung fand 1935 in Rom statt – ausgegraben. „Verbrechen“, das in Stefan Zweigs Originalübersetzung den Titel „Man weiß nicht wie“ trägt, ist ein merkwürdiger Zwitter zwischen bürgerlichem Salonstück, philosophischer Etüde und surrealistischer Kür. Romeos Wahnsinn knüpft sich an die Frage von Schuld und Verantwortung für Taten, die uns das Unbewusste diktiert, die wir vielleicht sogar nur im Traum begangen haben. Ist der sinnlich geträumte Ehebruch nicht viel realer als die Wirklichkeit? Und wer trägt die Schuld an den triebhaft begangenen Untaten, die dann auch noch durch die Umstände begünstigt wurden?
Pirandellos Stück stochert kräftig im freudianischen Unterholz und unterminiert nicht nur die Sprache als entleertes Kommunikationskarussell, sondern unterläuft auch die Grundfesten der Realität. Diese Realität ist die des italienischen Faschismus. Genau dort siedelt Regisseur Roberto Ciulli das Stück an. In einer altmodischen Turnhalle mit weißen Papierbahnen als durchlässige Wände (Bühne: Gralf-Edzward Habben) trifft sich die elegant gekleidete (Kostüme: Heinke Stork) Gesellschaft. Giorgio (Fabio Menéndez) im weißen Sportdress trainiert seinen muskulösen Körper und hängt doch immer wieder merkwürdig leblos in den Seilen. Seine Frau Ginevra (Petra von der Beek) streckt ihm willfährig zur Begrüßung ihr Hinterteil entgegen oder fläzt sich Magazin lesend auf einer Matte.
Ciulli verortet die Spielweise mit traumwandlerischer Sicherheit auf der schmalen Grat zwischen Konversationsstück und Surrealismus. Auch der Slapstick wird zart angedeutet, wenn Romeo Daddi mit einer Keule zaghaft Ringe und Barren beklöppelt und dabei fast von einem Holm erschlagen wird – der Körperkult seines Freundes Giorgio wird damit zugleich entlarvt. Steffen Reuber Scheinwahnsinniger ist ein intellektualistischer Zweifler, der hamletisch zaudert und den ein immer größeres Frösteln erfasst. Umso mehr, als Bice und Ginevra dem Romeos Irrsinn mit einem erfundenen Ehebruch auf die realistischen Sprünge helfen wollen. Am Ende erschießt Girogio, der auf dem Weg in den Krieg ist, Romeo und setzt ihn posthum in Reiterposition auf dem Bock und fixiert ihn schließlich mit Klebeband am Barren. Niemand soll aus dieser Realität entkommen – eine der besten Inszenierung seit langem in Mülheim.