Jonathan Safran Foers "Alles ist erleuchtet" am Staatstheater Hannover

Wenn die Fantasie der Liebe Nahrung ist

Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet

Theater:Schauspiel Hannover, Premiere:15.03.2015Regie:Mina Salehpour

Picobello weiß strahlend oder auch mal traumblau eingefärbt, jedenfalls offen für alles ist der Bühnen- als Durchgangsraum der Fantasie. Geschmückt nur mit einigen Ballons – Erinnerungsblasen. Sie wollen flüchten, streben der Decke zu. Aber wenn konkret ihre Realität hinterfragt wird, zerplatzen sie und verwirbeln die Luft mit Zauberfeenstaub der Imagination – den nur arg prosaische Menschen für Mehl halten würden.

So findet Jonathan Safran Foers Debütroman „Alles ist erleuchtet“ (von der Vergangenheit) schon in der Bühnensituation eine prima Entsprechung. Geht es doch um die ja nicht nur jüdische Sehnsucht nach Herkunft. Nach dem Holocaust-Tabula-rasa muss Erinnerung teilweise noch deutlicher das sein, was sie bei uns allen sowieso immer auch ist: leidenschaftliche Erfindung. Nutzen wir diese herrlichen Möglichkeiten des magischen Denkens, historisches Gedächtnis zu konstruieren, wenn Fakten fehlen, es zu rekonstruieren.

Der US-amerikanische Autor forscht jedenfalls ganz real nach Spuren seiner jüdischen Familie in der Ukraine. Die Enkelgeneration versucht sich in der Katastrophe der Großeltern zu verorten. Aber Foer findet weniger als nichts, alle Zeitzeugen scheinen tot. Die Nazis zerstörten 1942 ganz real Trachimbrod, die Stadt seiner Ahnen, und ermordeten die Juden in der brennenden Synagoge.

So erfindet sich Froer die verlorene Heimat als surreal prunkende Schtetl-Phantasmagorie literarisch neu, gebastelt aus kauzig-komischen Klischees jiddischer Folklore. Und zieht weitere Handlungsebenen ein: Aus der Vorstellungskraft geboren wird Alex, der als ukrainischer Dolmetscher von Foers Recherchereise als burlesker Begegnung zweier Kulturen fabuliert; hinzu gesellen sich literarische Selbstreflexion sowie Alex’ angeblichen Briefe an seinen realen Schöpfer. In einem mäandernden Erzählfluss verwebt dieser seine fiktiven Realitäten immer enger und würzt geradezu altklug mit lebensweisem Witz.

Für die Kinofassung waren die Verantwortlichen schlau genug, nur die Ukrainereise als kauziges Roadmovie zu verfilmen. Das Theaterstück zum Film zum Buch bringt nun Mina Salehpour heraus. Die Deutsch-Iranerin wird ja gern für Migrationsgeschichten zur Vergangenheitsausleuchtung zwecks kultureller Identitätssuche gebucht. Und geht jetzt mutig in die Vollen, will all die narrativen Coups auf einmal collagieren. Wobei naturgemäß alles anekdotisch auf Revueformat verkürzt werden muss und nicht so komplex verzahnt werden kann wie in der Vorlage. Die von der Regisseurin, ihrer Dramaturgin und dem Ensemble gestrickte Adaption bietet hübsches Gefunkel memorierter Lesefreuden, ist aber für Noch-nicht-Leser wohl eher verwirrend kurzatmig in ihrem Szenenwechselrausch. Aber auf alle Fälle ein beschwingtes Fest der Regieideen!

Das Konzept hat Salehpour dem Buch entnommen. Nur humorvoll sei eine traurige Geschichte zu erzählen, heißt es dort. Und so präsentieren die äußerst spielfreudigen Darsteller in ständig wechselnden Rollen erstmal den Mikrokosmos jüdischen Lebens karikierend überzeichnet als Typenpanoptikum. Es ist auch skurril bis völlig abgedreht, wie der lebensunerfahrene Intellektuellen-Nerd Foer (Daniel Nerlich) die osteuropäische Provinz kennenlernt, antisemitische Hetze sowie aggressive Ablehnung seines praktizierten Vegetarismus erlebt, auf herzlich kaputten Familienalltag und einen Hund (Lisa Natalie Arnold) trifft, der als Sexoholic durchs Leben hechelt. Es gelingt Salehpour, in diesen Szenereigen Ruhezonen einzubauen, um vom Tod, von der Leichtigkeit gelingender Liebesmomente, von existenzieller Traurigkeit zu erzählen. Aber all das wirkt schließlich wie unterhaltsames Vorgeplänkel.

Nicht unbeirrbar konsequent zusammen laufen die Handlungsstränge, sondern es gibt plötzlich einen radikalen Bruch, als Alex’ Großvater (Thomas Neumann) von der Auslöschung jüdischen Lebens erzählt – und welche Schuld er dabei auf sich geladen hat. Da weiß sich das Theater nicht anders als mit einem beklemmenden, auch beklemmend langen Monolog zu helfen. Die stets gewahrte Balance zwischen schwebendem Ernst und erdender Komik kippt. Jedenfalls steht Alex (Sandro Tajouri) stotternd im Stroboskopgeflimmer da mit der entscheidende Frage des Abends: Wollte er das wirklich alles so genau wissen, was sein Opa während des nationalsozialistischen Terrors gemacht hat? Und was fängt er nun mit dem Wissen an? Wie hilft Humor, die Fantasie nun weiter? Wohl gar nicht. Deswegen ist nun auch Schluss. Begeisterung fürs famose Ensemble und den vitalisierenden Einfallsreichtum Salehpours, die demnächst hoffentlich mal engagiert wird, ein richtig gut gebautes Theaterstück im Fantasieraum ihrer Regiekunst entwickeln zu dürfen.