Foto: Hedwig Fassbender (Die Frau über sechzig), Simon Bode (Der junge Mann), Holger Falk (Der Mann) und Hans-Jürgen Lazar (Der Mann über sechzig) © Monika Rittershaus
Text:Joachim Lange, am 30. Juni 2014
Ein Komponist wie Péter Eötvös (70) schreibt seine Opern nicht für die Schublade, sondern für die Bühne. Und da landen sie auch. Avanciert, aber ohne esoterische Attitüde. Die Geschichten meistens eng an literarischen Vorlagen entlang. Vor allem seine „Drei Schwestern“ nach Tschechow haben längst einen Platz im Repertoire. Als Auftragswerk der Oper Frankfurt und des Ensemble Modern hat er jetzt, als neunte Oper, Roland Schimmelpfennigs, vor fünf Jahren im Wiener Akademietheater vom Autor selbst uraufgeführtes Stück „Der Goldene Drache“ zu „Musiktheater“ gemacht. Wohl, weil der vielschreibende Erfolgsautor sein Stück selbst zum Libretto eingedampft hat, ist auch dessen besondere Melange aus hintergründigem Witz und Welthaltigkeit erhalten geblieben. Zuerst beim Text, den man jetzt im Bockenheimer Depot (einer originellen Nebenspielstätte der Oper Frankfurt) auch ohne Übertitelung Wort für Wort versteht. Und der mit seiner dezidierten Geste des Vorführens aller 18 Rollen durch die fünf Protagonisten allein schon den Charme eines ganz eigenen Wortsound entfaltet.
Mit seiner Musik knüpft Eötvös in den auf 90 Minuten verteilten 21 Szenen genau da an. In seinen wie Perlen aneinandergereihten Miniaturen scheint das Orchester an allen Enden gleichzeitig zu funkeln und die ariosen Aufschwünge einzurahmen. So entsteht ein mit Rhythmus grundiertes Parlando in kleinen Schritten. Nach dem Auftakt, bei dem die 16 Musiker des Ensemble Modern ohne ihre Instrumente auf das Spielpodest von Hermann Feuchter klettern und mit allen erdenklichen Küchengeräten auch so eine Art Musik machen, übernimmt dann der Komponist vom Pult aus. Wie nebenbei erfährt man wie Putzen müssen oder Zahnschmerzen klingen können. Erzählt wird die Geschichte des kleinen Chinesen, der illegal im China-Thai-Vietnam-Restaurant „Der Goldene Drache“ arbeitet, schlimme Zahnschmerzen bekommt, den Arzt aber nicht rufen kann. Diese Studie aus den Hinterzimmern der Arbeitswelt dreht ins surreal Groteske ab, wenn ihm seine Landsleute den schmerzenden Übeltäter mit der Rohrzange ziehen und er daran verblutet. Der Zahn landet in der Suppe einer Stewardess und tritt eine ebenso lange Reise an, wie der tote kleine Chinese, den sie in den Fluss werfen, in der Hoffnung, dass er auf diesem Wege zurück nach Hause gelangt.
Wenn die Geschichte kippt, wird auch die Musik mit zunehmenden Anteilen fernöstlicher folkloristischer Elemente opernhafter und melancholischer. Mit einer betörend schönen und traurigen Abschiedsarie des kleinen Chinesen. Insgesamt unterläuft Eötvös die strukturelle Verfremdung des Textes durch eine wachsende emotionale Empathie für seine Akteure, vor allem für den kleinen Chinesen. Auch Regisseurin Elisabeth Stöppler baut mehr auf das Komödiantische und die Poesie der Geschichte, weniger auf ihre denkbaren politischen Weiterungen. Hinter dem vollgerümpelten Spielpodest erhebt sich eine riesige Drachen-Collage aus dem Strandgut der Zivilisation. Die natürlich nach allen Regeln des atmosphärischen Zaubers funkeln kann und am Ende langsam ins sich zusammensinkt.
Da der Komponist am Pult stand und die Ko-Auftraggeber und -Produzenten vor ihm saßen, darf man von einer authentischen Interpretation dieser trotz aller Traurigkeit am Ende gemütserheiternden Musik ausgehen. Die erstklassigen Protagonisten taten ein übriges. Ob nun Kateryna Kasper als „junge Frau“ und „der Kleine“, ob Hedwig Fassbender, die als „Frau über sechzig“ auch als „Enkeltochter“ oder „Ameise“ glänzte oder das wunderbare Herrentrio aus Simon Bode, Hans-Jürgen Lazar und Holger Falk. Wobei sich keiner die Show stehlen lässt, als Kellnerin oder als Stewardess zu glänzen. Frankfurt ist ein Saisonabschluss mit einem Stück neuen Musiktheaters gelungen, das Freude macht und obendrein gute Aussichten auf ein Bühnenleben hat.