Fragen ohne Antworten
Deigner hat ein hochverdichtetes Kammerstück geschrieben, das die richtigen Fragen stellt und auf einfache Antworten verzichtet. In seinem Zentrum steht ein stetig wiederkehrender Albtraum der Mutter. Darin versinkt sie in einem Ozean, bis sie zu ersticken droht. Intendantin Sibylle Broll-Pape nimmt die Zuschauer in ihrer gerade mal eine bedrückende Stunde dauernden Uraufführungsinszenierung mit auf den Grund des Meeres, der ein Abgrund ist. Passend dazu hat Broll-Papes langjährige Bühnen- und Kostümbildnerin Trixy Royeck die Studiobühne des ETA Hoffmann Theaters überwiegend in dunkelblaues Licht getaucht. Auch der Friedwald – eine Videoprojektion auf zwei verschiebbaren Stellwänden – gleicht einem undurchdringlichen Dickicht. Dazu erklingt immer wieder minimalistisches Klavierspiel, Töne wie Tropfen oder Tränen.
Das Stück ruft natürlich die von rechtsextremistischen, antisemitischen und frauenfeindlichen Motiven geleiteten Amokläufe der letzten Jahre ins Gedächtnis: Vom „Schulmassaker von Littleton“ 1999 über das OEZ-Attentat in München 2016 bis zu den Anschlägen von Halle, Christchurch und Hanau 2019 und 2020. Auch Björn SC Deigners Erik, so erfährt der Zuschauer in mehreren Rückblenden, die ihn in die Zeit kurz vor und nach der blutigen Tat führen, war ein Einzelgänger, der sich in Chatgruppen radikalisiert hat, bis er für seine Umgebung nicht mehr erreichbar war. Der eigene Sohn, eine leere Hülle.
Ratlosigkeit und Schuldgefühle
Doch nicht der jugendliche Täter und seine Beweggründe stehen in „Tiefer Grund“ im Mittelpunkt. Sondern dessen von Schuldgefühlen und Ratlosigkeit geplagten Eltern. Noch Jahre danach machen sie sich gegenseitig Vorwürfe – „Du hast Karriere gemacht und was war mit uns“, faucht einmal die Mutter –, um schnell zu erkennen, dass das überhaupt nichts bringt. Dann versucht man wieder aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören, gemeinsam zu trauern. Ja, auch das. Barbara Wurster und Florian Walter bestechen als traumatisierte Eltern, die verstehen wollen, was letztlich nicht zu verstehen ist. Und manchmal auch nur vergessen wollen und deshalb zu Tabletten greifen oder sich ganz weit weg wünschen. Nach Kanada zum Beispiel, in die Wildnis. Doch die Erinnerung bleibt, natürlich. Zu sehen sind zwei verlorene, erschöpfte Menschen, für die jeder Tag aufs Neue ein Kampf ist.