Foto: Tim Price schrieb einen "Protestsong" für das Theater. Klaas Schramm als Obdachloser Danny versucht mit der Occupy-Bewegung aufzuräumen. © Karen Stuke
Text:Jens Fischer, am 17. November 2014
Das geht gar nicht. Das ist Hausfriedensbruch! Seit sieben Jahren sind die Stufen der Londoner St. Paul’s Cathedral das Bett für Danny und seine Obdachlosenkumpels, das Areal um die angrenzende Börse ist das Wohnzimmer: mitten in einer der schönsten Weltstädte, zur Nachtruhe werden die Bürgersteige hochgeklappt, aber tagsüber sind reichlich Menschen unterwegs, die ihre Scham, auf Kosten anderer zu den Gewinnern des Wirtschaftssystems zu gehören, mit üppig dahingeworfenen Almosen abtragen. Aber nun: eine Invasion mit Bongogetrommel, eine Okkupation mit Dauergeplapper. Dannys Heimat wird mit Zelten und provisorischen Hütten besetzt, die er sogleich anpinkelt, um sein Revier als Ureinwohner kenntlich zu machen.
Occupy ist das Motto, 2011, antikapitalistische Aktionen sind angesichts der Finanz-, Politik-, Demokratiekrise in Mode. Dem Zynismus der globalisierten Wirtschaft wird die Moral des globalisierten Widerstands entgegengestellt. Der walisische Dramatiker Tim Price war mittendrin. Und verfasste einen so mitreißend wütenden wie hinreißend komischen und herzig satirischen „Protestsong“ zum Protest: als retrospektiven Monolog Dannys. Abrechnung aus der Perspektive des Außenseiters. Der nur zwei Erlebnisse von den Insidern entfernt ist: Job verloren und Scheidung, exklusive Umgangsrecht, den eigenen Sohn zu sehen. Mit dem Tröster Alkohol ging’s schnell die Treppe gesellschaftlicher Hierarchie hinab – auf die Stufen vor dem Kirchenportal.
Regisseurin Felicitas Braun lässt ihren famosen Darsteller Klaas Schramm anfangs die Möglichkeiten des Textes nutzen, das Publikum aus der Komfortzone seiner Realität in den Alltag Dannys zu holen. Er spielt es an, will sich mit ihm gegen die „scheiß Demonstranten“ verkumpeln, lässt den Hut rumgehen für monetäre Gaben, sammelt Handynummern als Lebenslüge sozialer Kontakte, animiert zum Singen. Und gibt für den Fall der Fälle schon einmal den Tipp, dass in Oldenburg die Obdachlosenhilfe unweit der Theaterspielstätte angesiedelt ist. Aber die reizvolle Möglichkeit der Vorlage, als Mensch – nicht als Objekt von Solidarität – wahrgenommen zu werden, bleibt ungenutzt. Nämlich so lange um Berührung zu bitten, bis jemand mit Danny tanzt.
Auch sonst wirkt die Inszenierung höflich distanziert. Schramm schmeißt sich nicht mit naturalistischem Furor in die Tramp-Rolle, legt kein Fusel-Parfüm auf, trinkt nicht einmal therapeutische Schlucke Bier. Macht aber schick schlampig Dannys Zerrissenheit deutlich: sein Hin und Her zwischen gefährlicher Aggression und liebenswerter Clownerei, zorniger Großkotzerei und neugierigem Kleinmut, Selbstzufriedenheit und Selbstzweifel. Wenn’s um den abwesenden Sohn geht, gibt’s allerdings kleine Pathosgesten, als ginge es nicht um Dannys verzweifelten Ausdruck selbst verpfuschten Lebens, sondern um Kritik an Mitleidbettlern, die eine professionalisierende Lehre beim „Dreigroschenoper“-Peachum verpasst haben.
Zu Beginn ist die Protestbewegung ein Witz. „Occupy ist geil / Occupy Sieg heil“, rappt Danny, genießt dann bald kostenloses Essen, interessierte Zuhörer seiner Lebensgeschichte und meint schließlich gerührt, die Unzufriedenheit der Polit-Aktivisten spiegele seine eigene. Danny lässt sich eingemeinden. Möchte zurück ins Leben. Will wieder was. Egal was. Zum Beispiel Studiengebühren abschaffen, Bürgerrechte in Ägypten, Einstellung der Bohrungen in der Antarktis. Und vor allem: seinen Sohn sehen. Für Danny ist Occupy keine Spielerei, sondern plötzlich sein Leben. Ein Missverständnis. Denn irgendwann nervt es die Platzbesetzer, dass ihre Teestube Obdachlosenkneipe ist. Wohlfühlen geht besser im homogenen Team. Offiziell wird Danny wegen Drogengenusses und Gewalt wieder ausgegliedert.
„Occupy hat mein Leben versaut, weil es mir Hoffnung gegeben hat“, so seine Empörung. Nachdem er die Occupy-Entwicklung am eigenen Leibe nachvollzogen hat: vom Gefühl, dass was falsch läuft, zur richtigen Einstellung und zu wichtigen Aktionen, dann zu neuen Lebensentwürfen – und zurück in frischer Resignation. Denn nun weiß er ja, was wichtig ist im Leben: nämlich Freunde zu haben zum Reden, gegenseitigen Mutmachen, miteinander Lernen, sinnvoll Arbeiten. Mit dieser Einstellung kann er nun vom Publikum eingemeindet werden. Was auch kuschelig funktioniert als Geschichte im Geist der Weihnacht. Und auch ganz nach Dannys Oldenburger Art: im Geist der Sozialpädagogik.