Foto: "Das Streben nach Glück" am Theater Magdeburg. Andreas Guglielmetti, Axel Strothmann © Andreas Lander
Text:Michael Laages, am 30. September 2013
„Mein Kind soll es einmal besser haben!“ – so klang im Aufschwung nachkriegsdeutscher Wirtschaftswunderzeit das zukunfts- und erfolgsstiftende Mantra, das in Amerika schon die Unabhängigkeitserklärung von 1776 ziert: das „Streben nach Glück“, im Original „The Pursuit of Happiness“, gilt als ebenso unveräußerliches wie uneinschränkbares Bürgerrecht; der Karriereweg „vom Tellerwäscher zum Millionär“ ist die radikalste Form dieses Versprechens. Wohlgemerkt: Nicht Glück ist garantiert; aber jeder und jede soll darum kämpfen dürfen. Oder muss alle Welt darum kämpfen? Richard Dresser, der Skeptiker unter den US-Dramatikern, nimmt in „Das Streben nach Glück“ den Zwang ins Visier, der im Erfolgsdenken steckt; Magdeburgs Schauspiel zeigt die deutschsprachige Erstaufführung.
Annie und Neil, mittleren Alters und eher unglücklich in den Jobs, mit Hobbys, aber ohne Freunde, setzen alle Hoffnung auf Tochter Jodi – die soll auf’s College, also an die Startrampe zur Karriere, will aber nicht; vor allem, weil sie sieht, wie wenig aus dem Leben der Eltern wurde, die den gleichen Weg gegangen sind. Den Wunsch der Tochter nehmen die Eltern nicht ernst, speziell Mutter, die alles in Bewegung (und die eigene Ehe aufs Spiel) setzt, um Jodi dorthin zu hieven, wo sie selber war. Dafür animiert sie einen tumben, aber potenten Ex-Freund, der aber nun dummerweise wirklich entflammt für sie und darüber alles verliert, Job und Ehe, schließlich aber auch alles wieder hin bekommt; irgendwie. Die Tochter, auf dem Weg in ein soziales Projekt ohne Karriere-Perspektive (wie ehedem auch mal Mama), zweifelt nun wieder – aber womöglich bleibt sie auf dem alternativen Weg; und zieht die Mutter bestenfalls mit dorthin.
Das ist sehr amerikanisch; es braucht Phantasie, um im Stück die Zwänge heimischer Karrieren aufzuzeigen. Und Autor Dresser lädt die Familiengeschichte zudem mächtig auf. Denn Papa, Meister in der Gartenschlacht gegen unerwünschte Frucht-und-Gemüse-Räuber, hat zwischenzeitlich doch mal einen Freund bei der ungeliebten Arbeit gefunden hat, und der wird zum Lover der Tochter. Je komplizierter sich die Fabeln aber verstricken, desto mehr wirkt Dressers Stück wie ein Handlungsgerüst, weniger als ausformulierte Szenenfolge; Christoph Roos löst dieses Problem bei der deutschsprachigen Erstaufführung in Magdeburg mit Hilfe der Ausstatterin Anja Ackermann. Das Foto eines monströsen Werbeplakats, das in tiefster amerikanischer Wüste das Traumbild eines Bergmassivs im Schnee zeigt, prangt auf einer bühnenbreiten Wand aus einem Halbdutzend drehbarer Segmente; auf denen erscheint das Personal in rasant wechselnden szenischen Miniaturen. Und im Vorbeirasen kommt uns die Familie näher: Michaela Winterstein, Axel Strothmann und Luise Audersch. Auch die Außen-Menschen, Ralph Martin und Andreas Guglielmetti, fliegen quasi herein und hinaus… das Stück zieht Wirkung aus der Dramaturgie der Schnelligkeit.
Aber die Charaktere bleiben notgedrungen schmal – im Spielzeitauftakt zwischen der „Sonnenallee“ nach Thomas Brussig und Leander Haußmann und Dennis Kellys finster-nachapokalyptischem Kammerspiel „Nach dem Ende“ setzt Magdeburgs Theater auf ein klug gedachtes Stück Anti-Zeitgeist.