Thumbnail

Weltschmerz mit Witzfiguren

Marianna Salzmann: Wir Zöpfe

Theater:Maxim Gorki Theater, Premiere:04.02.2015 (UA)Regie:Babett Grube

Eine Weihnachtsgroteske soll es werden – so lässt Bühnenbildnerin Lea Dietrich schon einmal muskelprall und mit pulsierend geblähtem Bauch einen halben Osterhasen verstopfend aus dem Bühnenrahmen quellen. Kumpelhaft mit lässig verbaler Umarmungsgeste wird das Publikum begrüßt – „hallo, na“ – und gefragt, ob es dieses Familienklüngelding Weihnachten gut überstanden habe. Aber eigentlich auch egal. Man habe viele Fragen und wenig Zeit.

Prototypische neudeutsche Jedermänner und -frauen müssten sich nun wie üblich in den Stücken der Gorki-Hausautorin Marianna Salzmann aus der Multikulti-Debatte postmigrantisch erheben und mit den angebotenen Identitätsschnipseln ihr Selbstbewusstsein basteln. Flechten. „Wir Zöpfe“ heißt daher das neue Stück. Figuren und Handlung sollen sich ineinander verwinden. Nur: Es gibt keinen narrativen Spannungsbogen mit Katharsis – nur eine Szenencollage mit einem eher Schlagabtausch denn Dialog zu nennenden Worte-Pingpong. Und richtig ausgearbeitete Figuren gibt es auch nicht. Was Regisseurin Babett Grube da auf der Gorki-Bühne stolzieren lässt, sind vor allem Karikaturen. Auch Salzmanns Versuch, das Personal bereits durch ihre Frisuren kenntlich voneinander abzugrenzen, wird ins Lächerliche überdreht. Der Engel, den die Autorin aus Wim Wenders „Himmel über Berlin“ ausgeliehen hat, tuntet beispielsweise mit Goldlamettamatte herum, „die Tochter mit den kurzen Haaren“ hat hochgesteckte lange Haare. Keiner sieht so aus wie beschrieben. Nichts ist wie vorformuliert. Brecht eben, Verfremdung. Die hier jedoch keine Wachheit fürs Nachdenken über neue Erfahrungen ermöglicht, nur der Hauptfigur Nadeshda (Anastasia Gubareva) alle Spielpartner nimmt. Sie gehört wie die Autorin zur dritten Generation der aus Russland zugewanderten Juden. Opa Konstantins Weltsicht ist stark von seinen Erfahrungen im 2. Weltkrieg geprägt, Mutter Wera hat sich als Ärztin deutsch-bürgerlich assimiliert, ihre Herkunft verdrängt. Nadeshda aber sucht in ihrer passiven Wut über die Verhältnisse so desillusioniert wie ernsthaft nach Grundierung, Verwurzelung, Verortung. Und begegnet nur Witzfiguren. Damit ist dem Stück die Grundspannung genommen. Wie hochdramatisch (oder kunstvoll überhöht) hätte es beispielsweise sein können, wenn Nadeshda (Russisch: Hoffnung) mit ihrem abgetriebenen Kind, das Liebe heißt, diskutiert – das aber am Gorki als Spaßmacher im Strampelanzug daherkommt.

Eine weitere Hauptrolle spielt Berlin – als Liebes- und Hasserklärung, wie es Salzmann gemeint hat, als sie das Stück aus der Distanz in Istanbul geschrieben hat. Grau, kalt, unfreundlich, depressiv, selbstgerecht, „schon lange nicht mehr sexy, sondern einfach nur dumm und einsam“ charakterisierte sie die Stadt, „in der ihr vögelt und sauft und glaubt, das ist der Weltschmerz, dabei sind das nur eure eigenen unerfüllten Zuckungen vom besseren Leben.“ Ein vielstimmiger Chor der Darsteller bringt Berlin zu Gehör, feiert dieses angeblich brodelkesselige Mit- und Nebeneinander, das metropolitane anything goes. Hebt aber auch zur Publikumsbeschimpfung an. „Berlin-Mitte“, stöhnen die Darsteller beim Blick auf die Outfits im Publikum. Später werden politisch brutal unkorrekte Witze über Schwarze, Juden, Schwule, Frauen und so weiter vorgetragen, die ihre Pointen aus klischeehaften Zuschreibungen herleiten. Wer nun also lacht, soll seine Vorurteile bemerken. Ein landauf, landab ja ziemlich abgenutzter Regieeinfall – der sonst immer so überwältigend frischwärts inszenierenden Grube. Auch im Finale gelingt ihr nicht der schmerzhaft komische Versuch, jüdische Russen, moslemische Kurden, christliche Amerikaner als allesamt Deutsche zum Weihnachtsessen mit einem Engel zu versammeln. Zu erleben ist eher die sprachlos blasse Parodie einer Zwangsidylle. Aus den Figuren, Szenen, kulturellen Prägungen frisiert Grube keinen strähnchenbunt schillernden Zopf – nur einen ausgebleicht grauen Wuschelstrubbelabend.