Text:Elena Philipp, am 27. Juni 2015
In sechs Szenen um die Welt: Kolumbien und Kaschmir, der nigerianische Regenwald und das ewige Eis – eine Mischung aus Reisekolportage, ethnologisch bewusstem James-Bond-Jetset und grotesker Krimikomödie hat das Autorenduo Nolte Decar mit „Der neue Himmel“ entworfen. Aus Zürich reist Sebastian Kreyers Uraufführung zu den Berliner Autorentheatertagen; das Stück hatte die diesjährige Jury als einen von vier neuen Theatertexten zur Inszenierung ausgewählt. Motto der Short-Cuts-Dramaturgie, die vom Bühnen- und Kostümbildner Matthias Nebel ordentlich mit Exotik gewürzt wird: Dick drauf auf jede Pointe.
Ein Rundhorizont zeigt die Stationen der Weltreise, Expeditionszelte im Schnee, ein Andendorf, Südseepalmen oder eine Moschee im Himalaya. Rund geht’s auch bei der Bühnenaktion: Als Zwergflusspferdforscherin auf Dschungelexpedition darf die komödiantisch begabte Miriam Maertens den berüchtigten „Afrika“-Schlager von Ingrid Peters schmettern, mit 80er-Macken wie schmissigem Kopfwackeln und Mikrofonjonglage. Der Voodoo-Master ruft, die Trommeln dröhnen und „mein Herz schlägt schneller / Unter meiner weißen Haut“ zu bravem Durchschnittsbeat – ein gelungen überzeichnetes Bild westlicher Kolonialresiduen. Bunt geht es weiter: Die Teenies aus Alaska, die alles Mögliche „cool“ oder „krass“ finden und sich im ereignislosen Juneau mit Softdrinks und Skateboard die Langeweile verkürzen, tanzen mit den übrigen vier Ensemblemitgliedern eine Bollywood-Choreographie, als Überleitung zur nächsten Episode.
Setting, Musik und Kleidung, alles wird hier mit großem Aufwand globalisiert: Die Kaschmiris, die in einer Hoteltoilette um die Klobrille streiten, auf der eben noch ein Filmstar gesessen haben soll, tragen Lunghi und Turban; der Maoriboss Macky Tutu, der von der eigens eingeflogenen Kommissarin zu einer angeblich explodierten Yacht befragt wird, ist mit Tattoos, Bastrock und Gesichtsbemalung ausstaffiert. Pseudochinesisch palavert der „Paps“, der auf der chinesischen Antarktisstation mit seinem Sohn über den ersten Satz von „Anna Karenina“ streitet – an politisch Korrekte wendet sich dieser „neue Himmel“ sicher nicht.
Was die globalen Szenen unter dem Titel „Algorithmen von atemberaubender Schönheit und Gewalt“ eint? Die Explosion am Ende. In Stücke gerissen der kolumbianische Bus, in dem sich Gabo und Carla gerade näher kommen. Eine AGM-114-Hellfire-Luft-Boden-Rakete zerfetzt einen nigerianischen Jeep, auf dem kaschmirischen Klo landet ein Blindgänger. Das Christlich-Apokalyptische klingt im Titel schon an: Der neue (westliche) Himmel entsendet seine Raketen in die hintersten Ecken der Welt. „Nirgends ist man mehr sicher“, sagt aber ausgerechnet die britische Lady, auf deren Landsitz bei Whitby alle Handlungsfäden zusammenlaufen. Kammerspiel statt Episodenreigen: Jakob Nolte und Michel Decar wechseln das Genre im zweiten Teil zur englischen Krimikomödie.
Lady Grimshaw (Miriam Maertens) triezt ihre Bedienstete Miss Lissy (Julia Kreusch), die die Bühne mit Standuhr, Sofa, Beistelltischchen zum Salon aufmöbeln muss. Ebenso genüsslich betreibt sie exaltierte Konversation mit ihrem stummen Gast: Brigitte Roquette (Lisa-Katrina Mayer) ist ein stählernes Geschöpf zwischen Nazibraut und Domina, das sich zu gleichen Teilen Tarantino, Pynchon und Fritz Lang zu verdanken scheint. Reglos lässt sie das Lady-Geplauder an sich abtropfen, bewegt sich allein, um das von Miss Lissy bereitgestellte Kännchen Kerosin in ihren Tee zu kippen. Mortimer Grimshaw (Johannes Sima), ein schwuler Exzentriker, schäkert mit dem unbedarften, Pralinen futternden Richter Warwick (Benedict Fellmer) – bis Inspektor Nordt (Ludwig Boettger) im Sherlock-Outfit die gelangweilte Sonntagsgesellschaft unterbricht. Er recherchiere da einen Fall von Korruption auf der örtlichen Luftwaffenbasis sowie den Mord am Chauffeur, der eigentlich ein verdeckt recherchierender kanadischer Journalist gewesen sei…
Schnell wird klar, dass Brigitte Roquette, die Stumme mit dem sprechenden Namen, für alle bisherigen Tode in „Der neue Himmel“ verantwortlich ist, doch die Dialoge schleppen sich weiter hin, von Regisseur Kreyer und dem Ensemble mit schlüpfrigen Zoten aufgepeppt. Jede Marotte der britischen Oberschicht wird endlos ausgewalzt – der Eineinhalbstünder hat deutliche Längen. Komik ist ein anspruchsvolles Handwerk, das lässt sich an „Der neue Himmel“ gut studieren. Dick drauf auf jede Pointe trägt dramaturgisch nur begrenzt; das Publikum lacht zwar immer wieder, in wechselnden Konstellationen, aber es klingt oft eher unterdrückt-schuldbewusst. Dem englischen Teil hätten Raffungen und Auslassungen sowie Tempowechsel, seitens der Autoren wie der Regie, sehr viel besser getan. So bleibt: gepflegte Langeweile, als Brigitte einen nach der anderen mordet, mit Messer, per Pistole, von Hand oder in Götterspeise. Zum Schluss darf die durchgedrehte Drohne dann noch ein Kunstlied trällern, Schumanns „Mondnacht“. Und auf ihrer Pilotenhaube dreht sich der Propeller zum Heiligenschein: die Mörderin als Madonna.