Foto: Szene aus Pierre Audis "Parsifal"-Inszenierung im Bühnenbild von Anish Kapoor. © Walz Rittershaus
Text:Joachim Lange, am 13. Juni 2012
Dass sich Pierre Audi den bildenden Künstler Anish Kapoor als Bühnenbildner einlädt, folgt nicht nur dem Trend, aus der erhofften ästhetischen Reibung Funken zu schlagen und den vorhersehbaren Aufmerksamkeitsbonus mitzunehmen. Audi, der Amsterdamer Langzeitintendant, sucht immer wieder solche Reibungen. Mit dem berühmten indisch-britischen Bildhauer verbindet ihn zudem der Hang zum großformatigen Effekt, beide haben auch schon zusammengearbeitet. Jetzt allerdings ist das Resultat wenig überzeugend. Die drei archaischen Riesenfelsbrocken des ersten Aufzuges sind eine ziemlich konventionelle Pappmaschee-Kulisse, und die Figur des Amfortas bleibt allzu dicht an einem Passionsspiel-Jesus. Bei der Gralsenthüllung durchdringt sein Blut ganz direkt ein Tuch, dessen bloßer Anblick für die Arbeiter in diesem Steinbruch des Herrn zum Aufladen der Batterien reicht. Beim „Zum Raum wird hier die Zeit“ zieht sich Kapoor jedoch aus der Affäre und einfach den Vorhang zu.
Auch der Karfreitagszauber wird szenisch einfach übergangen. Erst im zweiten Aufzug geht es deutlich in Richtung Kapoor at his best. In Klingsors Reich beherrscht ein gewaltiger runder Hohlspiegel den ansonsten leeren Raum – mit allen (beeindruckenden) gewollten, aber auch den (irritierenden) ungewollten Spiegel- und Akustikeffekten, die sich damit erzeugen lassen. So taucht nicht nur das Orchester verzerrt auf, sondern auch die Stimmen werden für Momente wie künstlich verstärkt in den Raum reflektiert. Bis von oben ein Licht (der Erkenntnis?) herabschwebt und gebrochen die vokal eskalierende Auseinandersetzung zwischen Kundry und Parsifal illuminiert. Bei den Blumenmädchen, die erst bis aufs Gesicht vollverhüllt und dann berüschte Standbilder (Kostüme: Christof Hetzer) sind, müsste Parsifal schon hellsehen können, um deren Verführungskraft zu erkennen. Mit nur einer Geste lässt er schließlich den Speer in Klingsors Hand so zerspringen, dass man sich schon in einem ganz anderen Wagnerstück wähnt. Im dritten Aufzug steht nur eine Wand mit kreisrunder Öffnung diagonal auf der Bühne. Die Ritter marschieren jetzt in schlichten schwarzen Anzügen auf und sind mit einem Kreuz bemalt.
Wenn sich am Ende dann der Kapoor-Spiegel über dem Loch herabsenkt, dann ist das eher das abstrakte Zeichen für eine Implosion als für irgendeine Art von Hoffnung, die in der Komplettierung ja auch liegen könnte. Parsifal erlöst Amfortas, indem er ihn mit dem Speer niedersticht. Und geht. Für das restliche Personal zieht Audi einfach den Stecker – allesamt gehen sie zu Boden. Nur Gurnemanz bleibt aufrecht, möglicherweise als der Chronist des Nichts. Kann gut sein, dass die sparsamen Installationen Kapoors zu Audis konventionell erzählender Personenführung ein „Zum Klang wird hier der Raum“ imaginieren sollen – doch szenisch bleiben Zweifel und Fragen
Musikalisch dagegen gab es vokale Gewissheiten und geradezu bewusstseinserweiternde Antworten! Sängerische Qualität gehört zum Markenzeichen des Intendanten Audi. Und da gibt es auch bei diesem „Parsifal“ kaum etwas auszusetzen. Christopher Ventris ist ein sich wunderbar steigernder, strahlkräftiger und mitfühlender Parsifal. Petra Lang überzeugt als erstklassige hochdramatische Kundry, die auch für exzessive Stöhnzugaben genug Kraft hat. Alejandro Marco-Buhrmesters gehört sowieso zu den besten Amfortas-Interpreten, und auch Mikhail Petrenko macht aus seinem Klingsor (und gleich noch aus Titurel) eine eindrucksvolle Studie der Verzweiflung. Dass Falk Struckmann wohl nicht mehr von seiner manierierten Artikulation abzubringen ist, lässt sich bei seinem militant zugespitzten Gurnemanz ohne jede balsamische Güte verschmerzen, zumal es weder beim übrigen Ensemble noch beim Chor ernsthafte Abstriche gibt.
Das eigentliche Parsifal-Ereignis kommt freilich aus dem Graben. Iván Fischer flutet den Saal geradezu mit all der transparenten Klangopulenz, zu dem Hollands Nobelklangkörper, das _Concertgebouworkest_, imstande ist. Dabei bevorzugt er eine eher flotte Gangart, die gleichwohl nicht gehetzt wirkt, er trägt die Stimmen und sorgt so für den Zauber und das große Mitfühlen, das auf der Bühne oft nur Behauptung bleibt. Der Jubel war – wie in Amsterdam üblich – kurz aber heftig und einhellig für alle.