Foto: "Brokeback Mountain" in Aachen. Christian Tschelebiew und Mark Omvlee als hoffnungslos Liebende © Wil van Iersel
Text:Andreas Falentin, am 8. Dezember 2014
Es beginnt wie Wagners „Rheingold“. Ein Ursprungston, der andere zwingend nach sich zieht. Immer mehr Töne, immer mehr Farben kommen dazu. Aber anders als bei Wagner entsteht bei Charles Wuorinen keine Welt aus dem Fluss, aus der Formung der Klänge. Hier werden Klang- und Tonfetzen bloß aneinandergereiht und aufeinandergetürmt. Das Orchester schreit eine zerrissene Welt auf die Bühne und überlässt sie ihrem Schicksal. Das ist zu Beginn höchst eindrucksvoll. Zumal Ludger Engels seine Sänger rationell und ausdrucksstark führt. Zumal Christin Vahls Bilder angenehm provisorisch wirken, so den Charakter der Musik auffangen und widerspiegeln. Aber schon in der langatmigen ersten Szene wird klar, dass die Partitur kaum dramatischen Atem hat, dass ihr ein Kraftzentrum abgeht. Diese Komposition ist fragmentierter, sehr robuster Nebel um eine gute Geschichte herum, die musikalisch erzählt, aber nicht gestaltet wird.
Die Handlung folgt dem Oscar-gekrönten Film von Ang Lee, der wiederum auf einer Geschichte von Annie Proulx basiert, die selbst das Libretto schrieb. Proulx und Wuorinen stellen sich bewusst in die Tradition der Operngeschichte – und heben sich genauso bewusst davon ab. Proulx verwendet Alltagssprache, kurze harte Sätze, die nicht immer zu den Andeutungen geschlossener Formen passen mag, die Wuorinen, offenbar vor allem inspiriert von Schönberg und Strawinsky, seinen Figuren verordnet. Manchmal muss da die Regie sogar helfend eingreifen. Engels löst sowohl den einzigen, furchtbar naiv anmutenden Chorauftritt als auch die völlig willkürliche Erscheinung des Geistes von Jacks Schwiegervater unaufgeregt abstrakt, umschifft hier veritable Peinlichkeiten. Geschickt nutzt er die flexiblen, symbolisch angereicherten Kulissenteile zu schnörkelloser Erzählung, deutet naturalistisches Milieu kunstvoll an, ironisiert es, stellt es in den besten Momenten laut aus. Dann gibt kleinbürgerliche Erbärmlichkeit den starken, kontrastierenden Hintergrund ab für eine – tatsächlich – herzzerreißende Liebesgeschichte.
Jack und Ennis lernen sich kennen bei einem einsamem Job auf dem titelgebenden Berg. Sie verlieben sich ineinander, aber Ennis möchte heiraten, ein Zuhause haben, und er hat Angst vor gesellschaftlicher Ächtung. So wird die große Liebe, abgesehen von gelegentlichen gemeinsamen Ausbrüchen, über zwanzig Jahre nicht gelebt. Dann stirbt Jack. Mark Omvlee und Christian Tschelebiew liefern sich ihren Rollen aus, haben diese große Liebe in Körper und Stimme, Omvlee mit etwas engem, in der Tiefe ausdrucksstark mattem, sehr charmantem Tenor, Tschelebiew mit flexiblem, überwältigend warmem Bass. Polina Artsis und Ceri Williams überzeugen als Jacks Frau und Mutter, in vielen kleinen Solo-Rollen beweisen Chormitglieder hochstehendes Können. Im Graben koordiniert GMD Kazem Abdullah, auf dessen Wunsch diese deutsche Erstaufführung zurückgeht, souverän und gestaltet klug, wo ihm die Partitur die Möglichkeit gibt. Das Sinfonieorchester Aachen punktet mit großer Intonationsreinheit, substantiell bei einer Komposition, die dem Ohr ständig einzelne Instrumentengruppen nackt vor die Füße fallen lässt.
Alles in allem also kein verlorener Abend in Aachen, dennoch ein überaus deutlicher Beleg dafür, dass eine Weiterentwicklung oder gar Neuorientierung des Musiktheaters, über die ja zur Zeit vielerorts heiß diskutiert wird, mit Literaturopern kaum zu machen sein wird.