Foto: Szene aus „Die Passagierin” am Theater Krefeld © Matthias Stutte
Text:Andreas Falentin, am 20. April 2025
Das Theater Krefeld Mönchengladbach feiert mit Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin” sein 75. Jubiläum. Die vielleicht etwas problematische Stückwahl gerät szenisch, musikalisch und sängerisch zu einer herausragenden, vom Publikum gefeierten Aufführung.
Am 19.4.1950 haben die Städte Krefeld und Mönchengladbach ihr gemeinsames Theater gegründet. Zum 75. Geburtstag startet das Theater ein umfangreiches, sechswöchiges Festwochenprogramm und am Jubiläumstag feiert Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“ Premiere. Ein Stück, das 1968 vollendet, aber erst 2010 uraufgeführt wurde, das durchaus Deutschen-kritisch ist und in sieben Sprachen aufgeführt wird, weil Menschen aus vielen Nationen vorkommen und jeder in seine Sprache spricht. Ein Stück, das nicht zum Feiern und Fröhlichsein einlädt, sondern das Theater als Ort der Reflexion, Erinnerung und Rückbesinnung in den Mittelpunkt stellt.
Nicht zu laut, aber dynamisch
Die Premiere war gut besucht, aber nicht ausverkauft, die Aufführung hervorragend. Was GMD Mihkel Kütson mit den Niederrheinischen Sinfonikern leistet, kann nicht hoch genug bewertet werden. Der Generalmusikdirektor kennt sein Ensemble und sein Theater genau. Deshalb legt er das Dirigat nicht zu laut an, auch nicht zu schnell. Er lässt Stille zu, gibt den vielen Anspielungen Raum – auf Weill und Strawinsky, auf Tanzmusik und Jazz und Opernmanierismen – und stellt die Ironie in Weinbergs Musik aus, die auf das Stück wirkt wie ein Vergrößerungsglas. Der GMD bleibt transparent, dynamisch und achtet auf die Farben, mit denen Weinberg die einzelnen Sprachen einkleidet.
Die Geschichte ist einfach: Lisa ist mit ihrem Mann Walter auf dem Weg nach Brasilien, wo Walter Botschafter werden soll. Auf dem Schiff hat Lisa eine Begegnung mit Marta, die sie aus dem KZ kennt. Dort war Lisa Aufseherin und Marta ihre „Untertanin“, eine polnische Gefangene. Auf dem Schiff versucht Lisa herauszubekommen, ob es sich wirklich um Marta handelt. Gleichzeitig verirrt sie sich in ihrer Vergangenheit, erinnert sich an die KZ-Zeit, an die Menschen, die zu Tode gekommen sind, an Tadeusz, Martas Verlobten, der totgeschlagen wurde, weil er Bachs „Chaconne“ auf der Violine gespielt hat. Das Ende ist hier offen, wir wissen nicht, ob Marta auf dem Schiff Marta war und die Ehe und die Geschichte weiter geht.
Regisseurin Dedi Baron achtet genau auf die Vorgaben der Musik, sie inszeniert schlicht und genau, aber nie beliebig. Ironie und Stille fließen ungehindert aus dem Graben auf die Bühne. Kirsten Dephoff hat ein etwas rostiges Schiffsdeck gebaut, dass die Regisseurin sozusagen mit dem KZ verzahnt. Sie zeigt die Kreuzfahrer – den Chor – als gesichtslose Masse, die nicht weglaufen kann und blendet über, zeigt die Stewards als SS-Männer. Die Häftlinge kommen selbstverständlich auf das Deck – und bleiben gefangen.
Genaues Spiel der Akteure
Auch durch das genaue Spiel der Akteure bekommt die Aufführung eine starke, bedrückende Atmosphäre. Wie Eva Maria Günschmann die Lisa spielt, wie sie aus der Erinnerung eine zweite Lisa erschafft, an der die erste verzweifelt, muss man gesehen haben, auch weil sie mit sonorem, modulationsfähigem Mezzosopran sehr wortverständlich singt. Jan Kristof Schliep (übrigens der einzige Gast im 15-köpfigen Ensemble) belebt mit genau gesetztem Charaktertenor die Klischees vom Nachkriegsdeutschen. Sofia Poulopoulou öffnet als Marta mit flüssigem Sopran die Opferhölle, Rafael Brück ergänzt als Tadeusz mit hellem Bariton. Susanne Seefing, Sophie Witte, Antonia Busse, Gabriela Kuhn, Bettina Schaeffer und Kejti Karaj faszinieren vor allem durch ihr Zusammenspiel als vielsprachige Häftlingsgruppe.
„Die Passagierin” ist ein wirklich toller Opernabend in Krefeld und erneut ein Zeichen, dass diese Oper nach elf Aufführungen an deutschen Stadttheatern, zuletzt etwa in Weimar und Mainz, endlich als Repertoirestück zu betrachten ist.