Szene aus „Ubu” von Robert Wilson

Ästhetik und Präzision

Robert Wilson: Ubu

Theater:Kunstfest Weimar, Premiere:23.08.2023 (DE)Regie:Robert Wilson

Theater-Magier Robert Wilson hat beim Kunstfest Weimar „Ubu” in Szene gesetzt: mit Papier-Kostümen und nachgebauten Mirò-Figuren. Das wird zum Lehrstück in Sachen Wilson-Theater.

Natürlich bedarf es bei einem Stück von Robert Wilson keiner Vorwarnung. Der 1941 in Texas geborene Theater-Weltstar eigenen Rechts kennt sich aus und weiß längst, wie man mit eigenwilliger Kunst ankommt und sich eine Fangemeinde schafft. Ein Selbstvermarktungs-Genie ist er ja obendrein. Der US-Amerikaner, den man gerne als Lichtmagier bezeichnet, hat sich fleißig durchs Repertoire gearbeitet – von Nonsens bis Nibelungenring, samt Büchner, Brecht und Heiner Müller. „Black Rider” und die Shakespeare Sonette nicht zu vergessen. Eine Referenz-Ästhetik der Bilder und Gesten, der Perfektion des Lichts. Wilson eben, oft mit und manchmal ohne doppelten Boden, besinnlich, verblüffend, witzig.

Man kriegt (fast) immer, was man erwartet, manchmal mit Mimen, die durch die Wilson-Maskierung hindurch erkennbar werden. Angela Winkler etwa, die mit Wilson selbst die eingespielte Tonspur, mit Wort- und Satzfetzen durchzieht, ist diesmal freilich nur zu erahnen.

Auf dem Papierweg

Ein ambitioniertes Kunstfest wie Weimar mit einem Wilson zu eröffnen, ist ein Statement. Fürs Welt-Theater, zu der die Hauptstadt der deutschen Klassik ja gehört, auch wenn sie es nicht immer vor sich herträgt. Eine Vorbemerkung, die nichts mit irgendwelchen Triggerwarnungen zu tun hat, braucht es aber für seinen „Ubu“ im Weimarer e-werk doch: Es ist genau, was es behauptet. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Und zwar: eine „Performative Installation von Robert Wilson nach Alfred Jarrys legendärer Antikriegs-Farce“. Anfügen müsste man noch, dass Joan Mirò die entscheidende Anregung für die Kostüme und Vorlage der Puppen lieferte und Wilson vor allem damit spielt. Wer also Alfred Jarrys 1896 in Paris uraufgeführtes, das absurde Theater vorwegnehmende Stück „Ubu roi“ erwartet, gar einen direkten Verweis zu den auf der Hand liegenden Bezügen zu den Verrücktheiten der Gegenwart, ist auf dem Holzweg. In dem Falle auf dem Papierweg. Betritt man den Theaterraum faszinieren nicht nur auf Anhieb die eindrucksvollen und sich nach und nach knapp vorstellenden Kunstfiguren. Zu den papierne Kostümen (Aina Moroms) für die neunköpfige Truppe gesellen sich dann in kurzen Auftritten auch die nachgebaute Mirò-Figuren.

Papierfiguren auf dem Weg zum König: „Ubu“ im Rahmen des Kunstfest Weimar. © Thomas Müller

 

Man kann Ubu und seine Frau, den König, die Königin, die Kinder und den winkenden Bären durchaus für überzeichnete Fratzen der Macht(-gier) halten. Muss es aber nicht. Die sitzen anfangs an der Stirnseite vor den plötzlich wie maßgeschneidert dazu passenden, unverputzten Mauerwänden. Es ist auch der Laufsteg voll zerknülltem Papier, der zu ihnen führt und in den Bann zieht. Den kriegt man sogar zu hören. Wenn eine undefinierbar dunkle Gestalt aus dem Schattenreich langsam auf das Personal an der Tafel zuschreitet. Auf Ubu und seine Frau. Auf den König und die Königin auf deren Kinder. Auf den winkenden Bären.

Perfekte Farben und Stile

Szenenwechsel kommen plötzlich und krachend. So wie der Wechsel der perfekt sitzenden, leuchtenden Farben und der Stile der eingespielten, von Genre zu Genre springenden Musik-Tonspur. Man ahnt die Maßlosigkeit von Ubu, auch seinen Griff nach der Macht. Hier gehts aber vor allem ums Visuelle. Nicht um Jarrys berühmte Wortschöpfungen von „Schreiße“ bis „Phynanz“.

Wer an diesem knapp einstündigen Abend nach einer einfachen Übersetzung in eindeutig Identifizierbare sucht, geht womöglich leer aus. Wer sich voraussetzungslos faszinieren zu lassen bereit ist, dagegen kaum. Wilsons Performance hatte im Oktober 2022 im Es Baluard Museum in Palma de Mallorca Premiere, war danach schon in Montepellier und Barcelona und liefert jetzt in Weimar zumindest eine in sich stimmige Lehrvorführung in Sachen Wilson-Theater. Das stand schon immer für sich. In Zeiten, da auf den Bühnen zunehmend auf postdramatische Betroffenheit gesetzt wird, wirkt diese Art von Theater mehr denn je. Wie von einem anderen Stern. Oder halt wie eine Bastion von Form, Ästhetik und Präzision.