Foto: Strippen will geübt sein: Szene aus "The Full Monty" am Theater Chemnitz. © Dieter Wuschanski
Text:Ulrike Lehmann, am 26. April 2011
Diese sechs Jungs sind weder sexy noch besonders bühnentauglich: Dave ist zu dick, Malcolm stottert und Horse hat einen Hüftschaden. Auch die anderen drei halten sich nur als gescheiterte Existenzen über Wasser, seit das Stahlwerk in ihrem Ort schließen musste. Ohne Jobs liegen sie ihren arbeitenden Frauen auf der Tasche, ohne Selbstwert, ohne Sex, ohne Sinn. Als Jerry den abstrusen Plan schmiedet, eine Stripper-Show zu organisieren, um die Alimente für seinen Sohn nachzahlen zu können, ist der Gegenwind zunächst groß…
Die britische Komödie „Ganz oder gar nicht“ („The Full Monty“) füllte in den 90er Jahren die Kinos und später, in der Musical-Fassung von Terrence McNally und David Yazbek, die Broadway-Kassen. An der Oper Chemnitz hat sich nun Matthias Winter den „Ladies Night“-Stoff vorgeknüpft, musikalisch famos unterfüttert durch die Michael-Fuchs-Band. Die versinkt zu Beginn links in den Graben, während rechts die kreischende Damenwelt im Quadrat eines kleinen Stripperclubs verschwindet (pfiffige Bühne: Walter Schütze) – mittig verbleibt ein Laufsteg als Showbühne. Hier agiert das überwiegend aus dem Haus, teils mit Musical-Gästen besetzte Ensemble mit sichtbarem Gaudi. Und nutzt Stärke und Geschwindigkeit des Stückes: schlagkräftige Dialoge, jede Menge Situationskomik, alles gewürzt mit einer guten Portion Lebenstragik.
Kai Hüsgen gibt einen charmanten Jerry mit glasklarer Kopfstimme, Peter Heber steht ihm als sein treuherziger Freund Dave zur Seite. Dessen Wandlung vom durch Selbstzweifel Zerfressenen – der sich in einer intensiven Szene am Bühnenrand schamerfüllt den Bauch mit Frischhaltefolie einwickelt, weil das beim Abnehmen helfen soll – hin zum unverzagt-heiteren Stripper, beeindruckt. Edward Randall (Malcolm) stottert sich als suizidgefährdetes Muttersöhnchen in die Herzen der Zuschauer und dem alternden „Horse“ von Darren Perkins ist der Saal verfallen nach einem filigran geswingten Strip-Solo am Gehstock. Von den quirligen Gattinnen stechen Muriel Wenger als robuste und eigenwillige Georgie sowie Kerstin Randall, die Shopping-und-Reise-verwöhnte Vicky, hervor. Dass ihr spendabler Göttergatte Harold (herrlich steif: Wieland Müller) längst arbeitslos und pleite ist, wird zur pikanten Lebenslüge, die natürlich auffliegen muss.
Im Finale setzen die kreischenden Ehefrauen das Motto „Ganz oder Garnicht“ durch und es fallen – unsichtbar im gleißenden Scheinwerferlicht – die letzten Hüllen. Der Seelenstrip untereinander hat diese Jungs mehr gekostet als jede reale Nacktheit.