Foto: Ensemble-Szene aus Jelineks "Der ideale Mann" am Theater Augsburg. © Kai Meyer
Text:Manfred Jahnke, am 11. Oktober 2015
Schon der erste Blick auf die Bühne von Carolin Mittler zeigt eine Gesellschaft, die sich unaufhörlich im Rutschen befindet. Das ist ganz wörtlich zu verstehen, über einen steilen Mittelgang in der Mitte der Bühne rutschen – manchmal geht man auch – die Spieler über einen steilen, leicht gewundenen Aufgang auf die schräg montierte Bühne, die auf dem Boden wiederum durch eine kleine Schräge ausgeglichen wird. Goldtöne dominieren auf den mit Jugendstilornamenten versehenen Bühnenwänden, die mit verschiedenen Jugendstillampen ausgestattet sind. Auf diese Bühne rutscht nun das Ensemble in meist glitzernden Kostümen, formiert sich um ein Klavier und singt. So beginnt Schirin Khodadadian´s Inszenierung von der Jelinekschen Überschreibung von Oscar Wildes „Ein idealer Gatte“: eine Gesellschaft, die ständig Party feiert, schrill und laut, um die Langeweile zu übertönen.
Dabei steht im Mittelpunkt ein Mustermann, ein Politiker, der Karriere gemacht hat, voller ethischer Prinzipien, vergöttert von seiner Frau zum idealen Mann. Aber da kommt eine Frau aus Wien, die einen komprimierenden Brief bei sich trägt, denn dieser aufrechte Politiker hat einst einen verbotenen Insidertipp weitergegeben. Und Mrs. Chevely, so heißt die Dame, versucht Sir Robert Chiltern zu erpressen, dass er sich für sie einsetzt bei dem dubiosen Projekt „Hyperalpenkanal“, weil sie da hohe Aktienpakete erworben hat. Wenn es ihr auch gelingt, die Welt des Sir ins Wanken zu bringen, zumal seine Frau zunächst an ihren rigorosen moralischen Prinzipen festhält, so steigt der Sir am Ende doch weiter auf seiner Karriereleiter, unterwirft sich seine Frau – und muss das Böse wieder aus der Family verschwinden.
Einmal singt das Ensemble „We are family“ und trifft damit den Kern des Stücks: Privates und Öffentliches sind ununterscheidbar miteinander verquickt. Zur Familiy gehört auch das schwarze Schaf Mrs. Chevely, von Jessica Higgins furienhaft-erotisch angelegt. Wie überhaupt Schirin Khodadadian das Ensemble in eine starke körperbetonte emotionale Expressivität treibt, die nur ganz wenige Ruhepole findet. Das betrifft vor allen Dingen den anarchistischen Dandy Lord Goring, der Freund des Sir, von Thomas Prazak zumeist mit hohem Überdruck gespielt, ein Spielertyp, der am Ende seine Mabel findet, die Kerstin König als schnippisch emanzipierte junge Frau anlegt. Gregor Trakis spielt den Sir Robert Chiltern zunächst sehr forciert als Wirtschaftsfachmann, der genau weiß, wo man sein Geld anlegen muss, der dann, als seine Leiche im Keller öffentlich zu werden droht, seine Contenance verliert, seine Not herausschreit, und dann zu wundervoll stillen Momenten kommt. Wohltuend setzt sich die Spielweise von Ute Fiedler in dieser hysterischen Inszenierung ab. Sie ist der ruhende Pol, die auch ihre Überlegenheit begründet. Obschon dann gegen Ende ein starker Satz fällt wie „Das Leben eines Mannes ist von höherem Wert als das einer Frau.“ Und das im Zeitalter der Frauenquote. Natürlich schüttet hier Schirin Khodadadian kübelweise Ironie aus, wie die expressive Spielweise andeutet, das schräge Bühnenbild und die vielen Songeinlagen (Musik: Johannes Winde): Die Party geht weiter. Oder gibt es am Ende denn doch: Liebe?