Foto: Szene aus "When the mountain changed its clothing" von Heiner Goebbels. © Wonge Bergmann
Text:Detlef Brandenburg, am 27. September 2012
Irgendwann im Laufe dieses eigenartigen Musiktheaterabends, als Gertrude Steins Text „My last about money“ die Vergeblichkeit des Bemühens um die Aufhebung des Gegensatzes von Arm und Reich beschwört und ein Hauch von Kapitalismus durch jenes Slowenien weht, das in den Chorgesängen der 35 Mädchen aus Maribor im Alter zwischen elf und 20 Jahren immer mitklingt – da also zerfleddern zwei der Mädel einen Teddy. Und aus dem Teddy kommt Watte. Die Watte aber formen sie zu hübschen kleinen Wölkchen. Und die Wölkchen lassen sie an Bindfäden über der sehr grünen Kunstwiese schweben, die der Bühnenbildner Klaus Grünberg auf einem sehr kleinen Podium in der Weite der Bochumer Jahrhunderthalle ausgelegt hat, vor einem sehr hübsch gemalten Landschaftsprospekt. So federleicht, so verspielt bezaubernd, aber auch so ein bisschen laientheaterkitschig ist diese ganze seltsame Theaterveranstaltung, mit der Heiner Goebbels den Reigen der drei Musiktheaterabende der ersten von ihm verantworteten Ruhrtriennale beschließt – hier nun nicht nur als Intendant, sondern vor allem auch als Regisseur, Komponist, Arrangeur und Theateranimateur.
Der Name dieses Chores: Vocal Theatre Carmina Slovenica, beschreibt eigentlich den Charakter dieses Abends recht gut. In der Tat erleben die Besucher eine Art vokales Theater, getragen von den aus slowenischer Chortradition gespeisten Gesängen der Mädchen, die Goebbels äußerst raffiniert mit Musik von ihm selbst, aber auch von Brahms, Schönberg oder Sarah Hopkins amalgamiert. Die Gesangskunst des von Karmina Šilec geleiteten Chores, auch die Bühnenpräsenz der Mädchen ist beeindruckend. Goebbels hat mit ihnen in mehreren Workshops ein Konzept entwickelt, das Gesänge und Sprache in ein fein gesponnenes Gefüge aus Rhythmen, Spannungsbögen und polyphonen Überlagerungen fasst, und er hat den meist gesprochenen Texten von Rousseau, Eichendorff, Stifter, Alain Robbe-Grillet oder Ian McEwan kleine Szenen von einer absichtslosen Selbstreferenz gegenübergestellt, die auch Kinderspielen mitunter zu eigen ist: ein Reigenlaufen und Stühlerücken, Rangeln und Kauern unterm Regenrauschen, sich aneinander Schmiegen und Auseinanderstieben, irgendwann wird auch mal gegrillt. Florian Bilbao hat die Choreographie dazu ersonnen, Florence von Gerkan die alltagsnahen Kostüme entworfen, Willi Bopp das Ganze mit einem leise raunenden elektronischen Soundtrack unterlegt.
Goebbels, das spürt man, wollte dem Erfahrungskosmos der Mädchen nichts überstülpen, sondern etwas aus diesem Kosmos entwickeln. Und weil natürlich die Pubertät in der genannten Altersstufe eine wichtige Rolle spielt, hat er das Thema Umbrüche gewählt – was auch den seltsamen Titel des Abends erklärt: „When the mountain changes it’s clothing“, entnommen einem slowenischen Volkslied. Es geht also um Wechselzeiten, im Leben der Mädchen, im Leben Sloweniens, auch um den Verlust kindlicher Unschuld, der ja immer etwas Brutales hat. „Wovon träumen die jungen Mädchen? – Vom Messer und vom Blut“, heißt es an einer Stelle. Der Abend hat seinen Zauber. Aber er atmet in seiner fein ausbalancierten Schlichtheit auch den seltsamen Hautgout von künstlerisch hochgepuschtem Laientheater – als wäre ein Avantgarde-Regisseur in ein Mädchencamp geraten. Ein bisschen so ist diese Kooperation ja wohl auch gewesen. Großer Beifall für die hingebungsvoll singenden und spielenden Mädchen.