Foto: Bereit für die Revolution? Das wird am Theater Konstanz verhandelt; vorne Dan Glazer, Thomas Ecke, Peter Posniak, Arlen Konietz, hinten Jana Alexia Rödiger, Thomas Fritz Jung, Renate Winkler, Axel Julius Fündeling, Ferah Kocausta, Sarah Siri Lee König. © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 9. November 2019
„Die Tage der Commune“ gehört zu den wenig gespielten Stücken von Bertolt Brecht. Wenn auch 1957 erst veröffentlicht, hat Brecht sich doch schon seit 1937 mit dem Stoff auseinandergesetzt, ausgelöst durch ein Stück von Nordahl Grieg zum gleichen Thema. Bei der Lektüre des Textes begreift man schnell, dass nicht nur die große Besetzung ein Aufführungshindernis ist, sondern mehr noch, mit welcher Radikalität Brecht hier die Frage nach der Gewaltanwendung in Revolutionen stellt: Darf man Mensch bleiben und auf die Vernunft der Einsicht hoffen oder muss man zu den Waffen greifen? Darf man sich die Hände schmutzig machen wie die Herrschenden, die in dieser Hinsicht keine Skrupel kennen? Im Text spitzt Brecht das auf die Alternative zu: blutige oder abgehauene Hände. Oder anders: Kann unter kapitalistischen Machtverhältnissen Freundlichkeit, einer der Lieblingsbegriffe von Brecht, zur politischen Praxis werden?
Wie immer bei dem Stückeschreiber spielt auch „Die Tage der Commune“ auf mehreren Zeitebenen. Da ist zum einen die historische, die 72 Tage der Pariser Kommune 1871, dokumentarisch aus verschiedenen Originaltexten zusammengefügt. Da ist zum anderen die Ebene der zeitlichen Entstehung des Textes in den frühen 1950er Jahren, als sich die DDR etablierte. Und schließlich lautet die Frage in unseren Zeiten, in denen die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft und der Turbokapitalismus nicht einmal mehr eine Praxis der Caritas kennt: Wo ist Gewalt legitimiert, um die schlechten Verhältnisse in bessere umzuwandeln?
In der Tat gibt die Geschichte der Kommune für diese Fragen viel Anschauungsmaterial. Da treffen sich Menschen, Proletarier, die von einem gewaltfreien Handeln träumen inmitten einer Welt, die von Figuren wie Thiers oder Bismarck beherrscht wird, die mitnichten eine gewaltfreie Welt zulassen können. So lassen Vertreter der Kommune es aus Legitimationsgründen zu, dass die Bank Millionen verschieben kann. Brecht verdichtet verschiedene Grundhaltungen in den Figuren, zeigt, wie Menschen sich unter verschiedenen Umständen einrichten, einmal die, die Träume haben, andere, die sich korrumpieren lassen und wiederum andere, die sich gedankenlos zu Sklaven machen lassen. Und immer steht dabei die Frage im Zentrum: Kann ich rein bleiben oder werden meine Hände blutig?
Auch in der Inszenierung von Johanna Schall am Theater Konstanz steht die Gewaltfrage im Zentrum. Die Regisseurin bezieht sich dabei in der szenischen Arbeit auf die Aufführungsfassung des Berliner Ensembles von 1962, die die Texte von Brecht umstellt, damit das Publikum die vergangene Geschichte besser historisieren kann und diese so näher an die Gegenwart herangeholt wird. Zu Beginn des Abends stehen auf einer Schräge, bestehend aus 36 Kellergittern, davon eines rot (Bühne: Nicolaus-Johannes Heyse), zehn Schauspielerinnen und Schauspieler mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne. Im Zwielicht singen sie das Lied von der Kirschenzeit („Les temps de cérises“), das zum Lied der Kommune wurde: ein wunderbarer poetischer Auftakt. Aber dann werden alle nacheinander erschossen. Es wird also vom Ende her erzählt, so haben dann auch alle Darstellenden geronnene Blutkrusten im Gesicht und rote Spuren auf den Kostümen (Kostüme: Jenny Schall) während der gesamten Vorstellung.
Wenn der Zuschauer zu Beginn mit dem Ende konfrontiert wird, dann – und das war schon bei Aischylos und Konsorten so – richtet sich das Interesse darauf, wie es denn zu diesem Ende kam, beginnend mit der Euphorie des Anfangs, wo für einen Augenblick Utopie Wirklichkeit werden könnte; und wo dann die Versäumnisse eines gewaltfreien Verhaltens der Reaktion den Vernichtungsschlag ermöglichen. Johanna Schall erzählt es auf eine humorvolle Weise. Da wird keine Figur verraten, aber alle Kleinigkeiten, die den Alltag so ausmachen, werden auserzählt, so dass die Empathie des Publikums herausgefordert wird. Da ist zum Beispiel Sarah Siri Lee König, die als Babette die rote Fahne auf den Barrikaden trägt, wie auf dem bekannten Bild, eine, die für die Revolution kämpft. Oder Peter Posniak, der als François für eine radikale Haltung kämpft und immer wieder in den Abstimmungen unterliegt. Oder Jana Alexia Rödiger, die als Lehrerin Geneviève zunächst zögert, dann sich aber auf die Sache einlässt und für Bildung für alle kämpft und am Ende sogar ihren Verlobten, der sich als Spion einzuschleichen versucht, an ihre Mitkämpfenden verrät. Thomas Ecke spielt im leicht Berlinerischen Dialekt den Delegierten der Kommune, der immer wieder von Zweifeln geplagt wird, aber trotz besseren Wissens sich immer gegen Gewalt gegenüber der Reaktion entscheidet. Dan Glazer verkörpert den kampfbereiten Typus, der immer wieder ausgebremst wird, ähnlich wie der „Papa“ von Thomas Fritz Jung, der sich vergeblich für eine schnelle Gangart nach Versailles einsetzt, um die dorthin sich verzogenen Ewiggestrigen zu bekämpfen. Arlen Konietz spielt den Philippe, der Bruder von François als jemanden, der sich eher als Knecht des Kapitals versteht und sich dann auch aus dem Staub macht. Axel Julius Fündeling spielt unter anderem – denn jeder Spieler und jede Spielerin spielen in dieser Inszenierung verschiedene Rollen – den Kellner, der sich erst langsam den Revolutionären anschließt. Renate Winkler spielt resolut die Mutter von François und Philippe, wankend, aber als „Mutter der Kanone“ sich dann eindeutig auf die Seite der Revolution stellend. Ferah Kocausta schließlich brilliert als Bäckerin. Und der Musiker Torsten Knoll, der herausragend mit dem Ensemble die Musik von Hanns Eisler auf Syntheziser erarbeitet hat, spielt Fritz, den verwundeten deutschen Kürassier.
Johanna Schall erzählt mit Witz die Geschichte, wie die Politik immer den Alltag beherrscht, und jeden Einzelnen zu einer Haltung, zu einer Entscheidung zwingt, die auch Familien und alte Freundschaften zerreißen kann. Fehlt noch die Gegenseite, Bismarck und Thiers, die schon bei Brecht sehr karikaturhaft angelegt ist und in der Inszenierung noch verschärft wird. Trotz aller grotesker Verzerrung gelingt es Ralf Beckord nicht nur, seine acht Rollen – darunter auch die beiden genannten Staatsmänner – genau zu situieren, sondern schon fast dämonenhaft die Struktur der Macht auszuspielen, süffisant, hedonistisch genießen wollend: Was schert da der Mensch? Aber nicht nur in den grotesken Szenen hat diese Inszenierung ihre komischen Momente, sondern auch in den schüchternen Liebesbegegnungen zeigt sich ein leiser Humor. Und dabei gelingt es Schall, mit dem Ensemble ein rasantes Spieltempo auf der Schräge zu entwickeln. Die Leute von Versailles werden im Hintergrund auf Stühlen hereingefahren und auch wieder heraus. Sie mischen sich nicht in das Spiel der Pariser Kommunarden, bleiben süffisant lächelnde Zuschauer. Das Bühnenbild von Nicolaus-Johannes Heyse verändert sich nur einmal, als ein paar der Kellergitter herausgehoben werden, um eine Kanone hereinzuschieben.
Auch das Publikum wird direkt angespielt und zu einer Haltung herausgefordert mit dem Gedicht „In Erwägung, dass…“, das Brecht in seinen Text einmontiert hat, oder dem Song „Sklave, wer wird dich befreien?“ oder den 7 Grundregeln der Kommune. Ein gelungener Abend. Tosender Beifall.