Spannendes Zusammenspiel
Während in früheren Produktionen eher eine improvisiert wirkende Überfülle das Bild bestimmte, so vermittelt dieser Bühnenraum (Ausstattung: Greta Bolzoni) eine Klarheit. Dabei lässt Samir Akika sich und seinen Akteure nach wie vor viel Raum zum Spielen. Und da bleibt es – wie gewohnt bei den „Unusual Symptoms“ – nicht nur beim Tanz. Sechs Tänzer und zwei Musiker sind im Raum verteilt. Zwei von ihnen beginnen im Zentrum einen Kontakttanz zu klassischen Klavierklängen. Ein Weiterer kommt mit einem Mikrofon an den Bühnenrand, begrüßt das Publikum und erzählt von sich, vom Geldwert seiner afro-amerikanischen Identität, von seiner künstlerischen Ausbildung. Dann macht mit allen ein Spiel mit Stimme und Applaus. Vom Anfang bis zum Ende zeigt dieser besondere Theaterabend mit seinen Tänzerpersönlichkeiten, dass die Antwort darauf, warum Künstler:innen immer wieder auf der Bühne stehen, weitaus vielschichtiger ist, als die Sucht nach Applaus.
Die Musik von Flügel und Geige (Shane Fee und Yu Mita) ist klassisch – außergewöhnlich für Akika-Choreografien. Da tanzt einer passend zum Stil seine klassischen Figuren, die sein Partner zunächst mit Streetdance konterkariert, bis am Ende beide beides versuchen, verbinden, aber auch scheitern und wieder neu beginnen. Zwischendurch mischen sich die zwei Musiker mit einem multilingualen Theatergerede ins Geschehen und tragen zur programmatischen Verwunderung bei. Auf einem Startblock sitzt einer und redet ohne Unterlass mit sich selbst, bis der Klang seiner Stimme zur rhythmischen Geräuschkulisse wird. Ein anderer beginnt zu singen, es entsteht ein Chor, der sich sich einer Tanzchoreografie auflöst.
Kunst, Geschlecht und Leben hinterfragen
Ein ebenso diverses, wie begabtes und mutiges Ensemble zeigt, was es heißt, Performer zu sein – und zwar aus männlicher Sicht. Einer kämpft, einer wackelt mit der Hüfte, einer versucht es mit klassischer Leichtigkeit, einer mit bizarren Körperbildern, einer mit akrobatischen Sprüngen und einer schnattert und schnattert (wie man es gendertypisch nur Mädchen zusprechen möchte). Andere heben und tragen sich gegenseitig, wie es im Ballett meist nur zwischen Männern und Frauen üblich ist. Klischees wirken hier nie klischeehaft, sondern eher wie Versuchsfelder dieses Lebens. Wie Fische ohne Wasser zeigen sich diese Schwimmbadbesucher auch immer wieder nackt und verletzlich.
So tanzt plötzlich einer wie ein wildgewordener alter Zwerg im bunt zuckenden Flashlight. Die Zunge, ein aufgesteckter Gummipenis, ist lang herausgestreckt, wie in der archaischen Drohgebärde der männlichen, neuseeländischen Ureinwohner. Dann wechselt das Bild in ein Duo aus schwarzer und weißer Haut, das sich beinahe zeitlupenartig mit- und umeinander bewegt, dabei immer neue poetische und erotische Bilder wie Skulpturen erschafft. So lösen sich die Grenzen von Schwarz und Weiß, von Geschlechtern und allen anderen Zuschreibungen auf sehr berührende Weise auf.
Immer wieder fragt „(Little) Mr. Sunshine“ nach der Sinnhaftigkeit von Kunst überhaupt, die sich in der Pandemiezeit viele von innen und außen gestellt haben. Doch erhebt sich diese Thematik hier in die darüber hinausragenden Sinnfragen des Lebens. In der Suche nach Antworten, lassen die sechs Männer (Aaron Samuel Davis, Gabrio Gabrielli, Máté Mészáros, Marcus Alexander Roydes, Karl Rummel und Andor Rusu) regelrecht „die Hosen herunter“ und auch dieses Bild wird zum Ende des Abends mit Humor in einer Gruppenchoreografie aufgenommen. Euphorischer Applaus vom Premierenpublikum für einen inhaltlich wie künstlerisch reichen und bewegenden Abend in einem ausverkauften Haus.