Foto: Im Bild: Julius Bornmann, Sebastian Tessenow, Bettina Schmidt, Anna Keil © Rolf Arnold
Text:Michael Laages, am 21. Februar 2016
An vieles, wirklich vieles hat die Kundschaft sich gewöhnt mit den Jahren – an die Überforderungsübungen in Frank Castorfs Theater-Methodik, an die Gardinenpredigten von Elfriede Jelinek, an die kämpferisch brachiale Polemik im Chor-Theater von Volker Lösch … Undsoweiterundsofort. Darüber hinaus aber gibt es ab und an immer noch Abende, wo auch die fortgeschrittenste Bereitschaft zur Gewöhnung nicht recht helfen will. „Drei sind wir“, das neue Stück von Wolfram Höll, uraufgeführt am Schauspiel Leipzig, ist so ein Fall.
Und das liegt überhaupt nicht am Text; wie kompliziert er auch gebaut ist. Wer die kleine Geschichte nur liest, hat das bessere Ende gegriffen – Höll erzählt (entfernt verwandt mit „24 Monate“, dem einzigen deutschen Beitrag der gerade beendeten Kino-„Berlinale“) die Geschichte eines Paares in der Entscheidung ihres Lebens und für ein anderes, das dritte; angesichts der absehbaren schweren Behinderung des werdenden Kindes fällt die Entscheidung hier für die Auswanderung. Mit dem Kind: „Drei sind wir“, die sachliche Behauptung aus dem Titel, wird zum Überlebensprogramm.
Fernab von Zuhause, auf einer Insel vor Kanadas Küste, wollen die beiden mit dem Kind von vorn beginnen; egal, wie lange es dauern kann. Denn die Lebenserwartung des kleinen Trisomie-Patienten ist nicht absehbar. Jeder Tag, jede Woche zählt. Ein Jahr lang kommen immer wieder Verwandte aus der alten Heimat zu Besuch, um „Frühling“ zu sehen – so nennen die Eltern das Kind. Und es wächst tatsächlich heran – bis es das nicht mehr tut und langsam wieder aus dem Leben hinaus tritt. Die Eltern halten es nicht mehr aus, lassen das Kind allein für kurze Zeit – um es dann nur noch an Schläuchen im Krankenhaus wieder zu finden. Das Leben fließt aus ihm heraus – wie Sirup aus kanadischem Ahorn.
Natürlich wäre dieser Passion mit irgendeiner Form von Realismus kaum beizukommen. Thirza Bruncken allerdings setzt auf ein Rätsel mindestens anderthalb weitere – und wer nicht den Text zu lesen bekam (oder immer die Gebrauchsanweisung aus dem Programmheft im Kopf präsent hält!), wird eigentlich 70 Minuten lang zur Ahnungslosigkeit verurteilt. War überhaupt etwas von Trisomie zu hören im Dauersperrfeuer der Worte? Schon mit dem Ensemble-Quartett aus zwei Paaren wird Orientierung konsequent verunmöglicht; wenn etwa (als einfachstes Rätsel) der kanadische Freund spricht, flackert hie knatternd die Glühbirne im kahlen, leeren Raum, und eine der Frauen verfällt kurzzeitig ins Französische. Tja.
Wer was ist und wer was wird, das ist nur sehr rudimentär kenntlich; dafür singen (und tanzen) alle vier mehr oder minder mechanisch irgendwelche Pop-Songs zwischendurch; und auch deren Bindung ans Thema ist kaum zu ahnen. Mal ist die Tür im Raum offenbar verschlossen, mal nicht; die sich auch in Hölls Text teilweise überlagernden Text-Blöcke werden auf der Bühne noch kryptischer. Und am Ende, wenn Höll Krankenhaus-Tropf und die Gewinnung von Ahornsirup parallel führt, bekommen wir das Video einer Inuit-Frau mit Kind auf dem Rücken vorgesetzt, die Fell auf Fell und Pelz auf Pelz türmt. Ja, auch die Eltern hüllen das frierende, bald sterbende Kind in ganz viel Tierwärme; und die vier zeigen das auch im abschließenden stummen Fell-Getümmel zum Video; und: ja – es ist sicher ganz wichtig, endlich mal (vermutlich!) die Sprache der kanadischen Ureinwohner zu hören. Aber klar wird dadurch nichts.
Schon Hölls Text ist eine Herausforderung – aber er beeindruckt immerhin beim Lesen. In Leipzig zu sehen ist dagegen das fatale Bemühen, noch den letzten Zugang zu Thema und Text zu verbauen. Warum eigentlich?