Foto: "Warten auf Godot" im Kölner Zuschauerraum © Birgit Hupfeld
Text:Detlev Baur, am 5. September 2020
Mit den Texten zur Stunde ist das so eine Sache in dieser Krisenzeit. „Die Pest“ von Camus war in den ersten Corona-Monaten zunächst viel gestreamt, auf den Spielplänen der neuen Saison taucht es, aus guten Gründen, kaum noch auf: Klare Parallelen zwischen Stoff und aktueller Lage ergeben nämlich noch nicht unbedingt eine Inszenierung voll spannender Brüche, sondern können vielmehr lähmend auf Akteure und Publikum wirken. Samuel Becketts Nachkriegsstück „Warten auf Godot“ mit den beiden unbestimmt Wartenden liegt derzeit auch sehr nah – und ist damit nicht unbedingt das richtige Drama, die seltsam stillstehende und dabei rasend verrückte Welt zu erklären.
Regisseur Jan Bosse und Bühnenbildner Moritz Müller drehen zum Saisonstart am Schauspiel Köln mit „Warten auf Godot“ das Verhältnis von Publikum und Spielfeld um. Die Zuschauer sitzen mit einwandfreiem Abstand auf der Bühnenfläche, die vier Akteure bespielen den (in der Breite reduzierten) Zuschauerraum im Depot 1. Wladimir (Peter Knaack) und Estragon (Jörg Ratjen) schälen sich in den mit weißen Laken verhängten Sitzreihen aus ihren schlafsack-ähnlichen, hässlich gemusterten Mänteln (Kostüme: Kathrin Plath). So unbestimmt wie ihre geschmacklosen Klamotten, so undefiniert bleibt auch ihre soziale Verortung. Carolina Bigge gibt am Schlagzeug (später auch mit E-Gitarre und Gesang) großartig variierend den Rhythmus vor, unterstützt damit das Spiel der Wartenden ebenso wie die Lichtregie (Michael Gööck). Die Verabreichung einer Möhre an Estragon wird da zum befremdlich durch Effekte aufgepeppten Zaubertrickchen.
Erst mit dem Auftritt von Pozzo (Bruno Cathomas) und Lucky (Justus Maier) gewinnt das bis dahin diffus vor sich hinwabernde Spiel an Verbindlichkeit. Bruno Cathomas zeigt im roten Trainingsanzug einen egomanischen Diktator, der nach Anerkennung lechzt. Somit kommt durch die von ihm angestoßenen Machtspiele auch Verbindlichkeit ins Spiel. Ob man nun an theaterinterne Machtkämpfe denkt oder menschliche Grausamkeit als anthropologische Konstante herausliest: Durch das intensive Ausspielen kommt Leben in die Beziehungen auf der Zuschauer-Bühne. Die Zuschauer Wladimir und Estragon werden nun als Opfer und Täter zu Mitspielern – das tut ihnen gut (weil so die Zeit beim Warten schneller vergeht) und das hilft dem realen Publikum, weil nun die Rollen klarer werden.
Das Theaterpublikum braucht Akteure auf einer Bühne, und das Theater darf sich nicht nur um sich selbst drehen, sondern muss eine Verbindung zur Welt der Zuschauer finden. Das zum Kölner Saisonstart zu zeigen, scheint Jan Bosse und dem Ensemble mit dieser Inszenierung halb geglückt, halb passiert zu sein. Die Vier halten immer Distanz und suchen doch immer die Nähe der anderen, der Abschied fällt Pozzo schwer, das Parkett ist weit und bietet viele Schlupflöcher. Lucky und später auch die beiden Protagonisten nutzen das Gestühl als Waffen in ihrer blinden Wut auf die Welt und damit auf die Fremden in der Nähe; Wladimir macht im zweiten, melancholischeren Teil ein Feuer im oberen Teil des Parketts. Eigentlich fühlen sich die beiden aber trotz Demenz inzwischen besser (und es ist interessanter, ihnen zuzusehen); nun spielen sie miteinander auch das ungleiche Paar Pozzo und Lucky nach: „Aber an dieser Stelle und in diesem Augenblick sind wir die Menschheit.“
Diese Inszenierung hat ihre Unschärfen und macht damit doch Hoffnung auf ein Theater, das die Welt nicht beschönigt, sondern auf sie eingeht – vom Theater aus. Wir Zuschauer brauchen das Spiel, nur Warten auf Besserung ist nicht abendfüllend. Für den Anfang nach einer diffusen Zeit des Wartens auf Theater war „Warten auf Godot“ in Köln die perfekte Wahl.