Die Bühne von Ulv Jakobsen, wie gesagt, nüchtern, doch noch während der verspielt-triumphierenden Ouvertüre schreitet die Fee (Lisa Schnejdar) umher, sie wird Cendrillon kaum mehr von der Seite weichen. Doch dann ist man erst mal zu Haus bei Aschenbrödel: Papa Pandolfe (Sergio Raonic Lukovic) klagt sein Eheunglück, nichts hat er zu sagen, Herr im Haus? I wo. Da scheint die Oper erst mal bei Lortzing zu sein, so komisch ist diese Klage.
Dann wird es ernst: Die Gattin, Madame de la Haltière (Katalin Kajan), ist eine Amazone, auf spitzen Stöckelabsätzen, die kein Pferd aushält. Wenn sie, zusammen mit zwei Ladys, denen das Spieglein so selbstverständlich wie das iPhone ist, die Macht übernimmt, ist man schon eher bei Massenet.
Doch dann tobt erst mal das dekadente Leben auf der Bühne: Ein Harald-Glööckler-Double trägt sein Schminkköfferchen wie eine Monstranz vor sich her, später kommen die Hofschranzen als allerlei Frack-Modelle daher, der König (Elias Gyungseok Han) trägt zur Galauniform schwarzweißes Haupthaar. Nur eine spielt nicht mit: Cendrillon (Dimitra Kalaitzi-Tilikidou), aufstylen hat sie nicht nötig. Schade nur, dass Kostümbildnerin Nina Reichmann für die Unansehnlichkeit nur das Übliche einfiel: Muster von Jacke und Kleid „beißen“ sich und natürlich trägt sie Brille, so hat das auszusehen. Noch einer macht das ganze Aufbrezeln nicht mit: Der Prinz trägt schlabbrige Sweatshirts, spielt mufflig Gitarre, schottet sich mit Kopfhörern ab. Wahre Liebe braucht keine Äußerlichkeiten, lautet die Botschaft.
Und da hat das Mittelsächsische Theater ein wirkliches Traumpaar zur Verfügung. Dimitra Kalaitzi-Tilikidou ist ein wandelbares Aschenbrödel jenseits aller Klischees. Traurig-mutlos, weil immer an letzter Stelle, anmutig-sehnend, träumend-bedauernd – sie bietet unheimlich viele Farben und Nuancen für ihre Figur, mehrere lange Soloszenen voll wechselnder Stimmungen trägt sie mühelos. Johannes Pietzonka als Prinz steht ihr kaum nach, auch wenn er weniger Gelegenheit zu glänzen bekommt: Melancholisch-einsam, von einer ebensolchen Flöte begleitet, aber nie wehleidig, wechselt er packend zwischen Trauer und Hoffnung, die er nie aufgibt.
Zweites Plus sind die Schattenspiele von Thomas Fiedler. Feen bewegt er auf den Zwischenvorhängen, auch eine Autokutsche, am Ende wippt und tanzt dort der gläserne Pantoffel – und die Mittelsächsische Philharmonie unter GMD Raoul Grüneis tut es ihnen nach. Die Musiker lassen die vielen Farben der Partitur nur so schillern, märchenhaft, angst- oder hoffnungsvoll, der zweite Akt beginnt mit einem Schlagwirbel wie mit „Nun aber los!“, mal drängen Bläser und Streicher gemeinsam voran. Auch seltene Instrumentensoli, die die Sänger tragen, gelingen.
Doch leider braucht Massenet vier Akte, um die bekannte Geschichte mit wenig Handlung und viel Gefühl zu erzählen, drei hätten es auch getan. So gilt es, lange Zwischenspiele irgendwie zu bebildern (gerne auf dem Catwalk, der die Liebenden trennt). Und wenn wieder mal das Happy End greifbar scheint, war es nur ein Traum. Das zieht sich dann doch auf fast drei Stunden, bis Cendrillon und ihr Prinz auf einem grünen Tuch der Hoffnung zueinander finden. Viel Jubel, ein einsamer Pfiff gegen die Regie.