Foto: Unter die Karnickel gefallen. Klaus Müller in "der Untergang des Egoisten Fatzer" in Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Klaus Kalchschmid, am 24. Februar 2018
Stilsichere Eigenproduktion zum Auftakt des hauseigenen Brechtfestes in Augsburg
Am Anfang war der Chor – wie zu Beginn des Theaters in der griechischen Tragödie – und am Ende steht er in Bert Brechts „Fatzer“ in Augsburg wieder eng zusammen und klagt: „Im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts / War ein Krieg aller Völker […] / Welcher ausspie ein Geschlecht / Voll Aussatz / Das kurz dauerte und / Untergehend die gealterte Welt / Abriß.“ Gemeint sind die Jahre 1917/18 und doch klingt es seltsam aktuell. Von 1926 bis 1930 schrieb Brecht an „Der Untergang des Egoisten Fatzer“, fünf Arbeitsphasen können Forscher unterschieden. In ihnen tauchen manche Szenen immer wieder auf, werden fortgeschrieben oder variiert, manches erscheint jedoch nur einmal. Eine Handlung ist nur rudimentär erkennbar, vieles erstarrt in manchmal rätselhaften Sentenzen, bei denen Poesie und Weisheit seltsam nah neben Gemeinplätzen und Plattitüden stehen, ja sich berühren oder durchdringen.
Bekannt geworden und gedruckt ist Heiner Müllers Bühnenfassung von 1978, die eine Montage in Themenblöcken darstellt. Sie unterscheidet sich von der jetzt in Augsburg aufgeführten, die Dramaturg Sabeth Braun und Regisseur Christian von Treskow erstellten, in wesentlichen Punkten. Diese versucht einen stringenten Handlungsablauf zu erzielen, montiert manchmal kleine Einheiten neu und nutzt das Motiv des Wartens, um auf die zahlreichen Leerstellen hinzuweisen, die das Stück aufweist. Das beginnt schon mit der Frage: Wer ist dieser Fatzer, dessen Anagramm „Fratze“ meint? Ist er ein Fatzke, also Windbeutel, oder spielt Brecht auf den Räuberhauptmann Fetzer an? Fatzer stiftet drei Kameraden zur Desertion an („Ich mache keinen Krieg mehr“, wiederholt er immer wieder) und die vier kommen bei der Frau eines von ihnen unter. Er verspricht, was er nicht halten kann, vor allem Fleisch. Einer der Kameraden resümiert verquer: „Das ist das Gute an dem Fatzer, daß er / So viel Appetit hat, daß es / Für uns mitlangt. Und daß er ein solcher Egoist ist / Daß es für uns noch mitlangt.“ Vom Metzger niedergeschlagen, verleugnen ihn die Freunde und am Ende wollen sie ihn aufhängen, erschießen ihn dann hinter der Bühne, bevor sie selber niedergemetzelt werden. Dazwischen gestreut sind Begegnungen mit Frauen, die trotz eindeutiger Situationen der Verführung seltsam unkonkret bleiben oder mit einem Soldaten, der wie aus dem Nichts auftaucht. Manches klingt desillusionierend nüchtern wie von Horvath, Fatzer wiederum scheint oft in seinem Räsonieren über die Welt wie ein Wiedergänger von Büchners Woyzeck.
In Augsburg wird pausenlose knappe zwei Stunden auf eine Revolution gewartet, die nicht kommt. Mannshohe, drehbare Lettern weisen daraufhin, denn sie bilden quer über die breite, abstrakte Bühne der Ausweichspielstätte im martini-park das Wort NOITULOVER, also rückwärts gelesen: REVOLUTION. Mal leuchten einzelne Buchstaben rot, mal sind alle Schwarz oder alle Rot; geht es um Liebe, steht da schon mal LOVER. Auf einer dicken Plastikplane dahinter schimmern Projektionen nach vorne durch, die immer wieder abstrakt Zerstörung zeigen, am Ende flimmern Bilder vom Krieg über die ganze Bühne (Bühne, Kostüm, Video: Oliver Kostecka).
Brecht hat sein unvollendetes, Fragment gebliebenes Stück, das oft wie ein Ideen-Steinbruch für gleichzeitig entstandene oder spätere Stücke wirkt, in einem hohen Ton der Tragödie geschrieben, einer rhythmisierten Prosa, in Versen und in Worten, die fast nie Umgangssprache abbilden, sondern einen hohen Oratorien-Ton darstellen. So spricht denn Kai Windhövel den Fatzer auch eher virtuos wie in einer Sprechoper und immer etwas höher als seine eigentliche Stimme gelagert ist, denn dass er ihn realistisch spielt. Bei seinen Kumpanen Koch (Klaus Müller), Büsching (Sebastian Müller-Stahl) und Kaumann (Gerald Fiedler) ist das nicht so ausgeprägt und doch immer noch spür- und hörbar. Während hier noch der Ansatz von unterschiedlichen Charakteren sichtbar ist, stellen drei weitere SchauspielerInnen verschiedene Rollen dar, die teilweise typisiert sind und auch so auftreten oder besser „auffahren“: in einer Schiene, die unterhalb des Bühnenniveaus eingelassen ist und einen Spalt bildet, den die Darsteller immer wieder konkret und symbolisch überspringen müssen: Ute Fiedler ist Therese Kaumann und mimt einen Fleischer, Linda Elsner spielt dieAndere Frau, Marie und Ein Fleischer, Anatol Käbisch wechselt zwischen Soldat und Ein Fleischer.
Trotz des Versuchs eine konkrete Handlung zu erzählen, betont Regisseur Christian von Treskow zu Recht den Lehrstück- und Oratorien-Charakter, lässt oftmals ins Publikum sprechen und inszeniert konkrete Aktionen wie mit Anführungszeichen. Zuletzt 1988 in der Heiner-Müller-Fassung am Theater Augsburg gespielt, war dieser „Fatzer“ ein prägnanter Auftakt des diesjährigen Brecht-Festivals, das unter dem Motto „Egoismus versus Solidarität“ mehrere Gastspiele umfasst, darunter Sebastian Baumgartens „Dickicht“-Inszenierung aus Berlin und „Der gute Mensch von Sezuan“ (Theater Bremen).