Foto: V.l.n.r.: Paul Brody, Jelena Kulji?, Daniel Dorsch, Hassan Akkouch, Yuka Yanagihara © Gabriela Neeb
Text:Klaus Kalchschmid, am 30. Januar 2016
Was tut ein junger Mann, der seine Braut gerade im Bett eines anderen gefunden hat? Wenn diese Braut Vincenzo Bellinis unschuldige Schlafwandlerin ist, dann zieht er sich in ein Glashaus mit Sand und Wüstenpflanzen (Bühne: Christian Friedländer) zurück, legt eine alte Schallplatte auf und hört sich selbst so lange zu, bis er eins wird mit dieser Stimme, die seine eigene ist und doch wieder nicht. Dabei liebkost er immer zärtlicher den Plattenspieler, um ihn schließlich mit seinem nackten Oberkörper ganz zu umfassen, während sein Singen längst in eine allumfassend tröstende Endlosschleife geraten ist. Wirkliches Vergessen findet er freilich erst in der erneuten Berührung und einem traumverlorenen Tanz mit seiner Jugendliebe Lisa.
In diesen 20 Minuten ist David Martons freie, manchmal improvisierende, dem Sprechtheater angenäherte Fassung von Vincenzo Bellinis Oper „La sonnambula“ ganz bei sich und dem wehmütig schmerzlichen Zauber des Singens. Denn so virtuos in gut 100 Minuten eine Trompete (wie einer Marthaler-Inszenierung entsprungen: der phänomenale Paul Brody) immer wieder Gesang, Instrumente wie Flügel, Spinett und Syntheziser ein ganzes Orchesters ersetzen können, eine Jukebox Belcanto-Fetzen ausspuckt und es reicht, wenn Elvino im Falsett seine Töne nur andeutet, so unentschieden ist der Abend – zwischen lockerer Parodie und ernster Verdichtung, Slapstick und Drama, Vorgespieltem und tief Empfundenem. Dabei lehrt diese Bearbeitung, an der das ganze Ensemble des „Opernhauses der Kammerspiele“ gearbeitet und gefeilt hat, einiges: Etwa, wie uritalienisch Bellinis Melodien klingen, wenn man sie frei und natürlich singt wie Volksmusik, so gleich zu Beginn die Gläser polierende Lisa am Tresen. Die wunderbare Schauspielerin und Jazzsängerin Jelena Kuljic lässt an diesem Abend originalen Bellini stets hören, als würde sie ihn gerade erfinden, so authentisch und überzeugend klingt er aus ihrem Mund.
Was aber wäre eine noch so freie Bearbeitung von Bellinis „La sonnambula“ ohne eine Sängerin, die echten Belcanto singen kann, die bombensicher ihre Partie beherrscht, die aber auch die Selbstironie mitbringt, anhand der Callas die Partie gleichsam vor Publikum erst einzustudieren, sich zu korrigieren, immer wieder neu anzusetzen. Yuka Yanagihara kennt David Martons Arbeitweise und seinen offensiven Umgang mit Musiktheater schon seit Längerem, was man am Mut und der Überzeugungskraft sieht, mit der sie sich auf sein Konzept einlässt und es trägt. Unvergessen daher auch die Szene, in der sie ihrem Bräutigam Elvino hilft, Singen zu lernen und Hassan Akkouch es als höchsten Liebesbeweis mit berührender Unschuld und jungenhaft frei von Scham auch tut, selbst wenn ihm dabei immer mal wieder die Stimme bricht.
Bleiben die beiden Musiker Daniel Dorsch, der auch einen herrlich vertrottelt beflissenen Dirigenten mimt, und Michael Wilhelmi, der als nicht minder neben sich stehender Dramaturg und Conférencier das Geschehen theoretisch überhöht analysieren will, aber nur verqueren Unsinn verzapft. Umso virtuoser spielt er Klavier und nicht nur einmal klingt es, als hätte Stockhausen eine hochkomplex atonal aufrauschende Bellini-Paraphrase verfasst. Dass dazu Yuka Yanagihara ihre originalen Melodien singen kann, ohne sich auch nur einmal buchstäblich im Ton zu vergreifen, spricht für eine ebenso ausgiebige wie fruchtbare Probenarbeit, in der die Sänger, Schauspieler und Musiker ebenso große Sicherheit wie Freiheit erlernten.