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Walzer versus Wagner

Emerich Kálmán: Die Csárdásfürstin

Theater:Theater Freiburg, Premiere:05.10.2013Regie:Frank HilbrichMusikalische Leitung:Gerhard Markson

Dabei war es doch immer ganz anders. Der Vorhang hob sich, und wir waren mitten im Varieté-Theater altösterreichisch-ungarischer Provenienz – im Budapester „Orpheum“. Und dann kam sie, Sylva Varescu, der Star des Hauses, um ihren Abschied in die USA zu feiern, umjubelt von der Menge. Und das musikalische Geschehen von Emmerich Kálmáns Operette „Die Csárdásfürstin“ nahm seinen Lauf in seiner spezifisch ungarisch-wienerischen Melange, im besten Falle unter Tränen lachend, wie es ein Rezensent der Wiener Uraufführung 1915 konstatierte.

In Freiburg will es – darf es – erst mal nicht laufen. Der Abschied geht tiefer, grundsätzlicher. Die Dame, der er gilt, heißt nicht Sylva, sondern Operette, und ihr Fanclub ist ein kleiner geworden: ein paar Operettenbuffos und das Hauspersonal. Stell dir vor, man spielt Operette, und keiner geht hin. Für den Zuschauerraum im Großen Haus des Stadttheaters gilt das zum Glück nicht. Aber im grauen, abgewirtschafteten Varieté-Theater, das Volker Thiele über den Orchestergraben hinaus gebaut hat, geht’s eher intim zu. Regisseur Frank Hilbrich kondoliert der Gattung auf seine eigene, ganz subtile Weise. Die Begräbnisfeier mäandert zwischen tiefer Melancholie und orgiastischem Taumel, getreu dem „Csárdásfürstin“-Motto: „Dieses ganze Jammertal/ ist für mich ein Nachtlokal.“

Das Jammertal haben die Kritiker dem Genre Operette nach 1900 immer wieder attestiert. Nahe am „Assoziationsfeld der Konfektion“ sei es gewesen, konstatierte Theodor W. Adorno; weshalb Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht für diese auch ein gewaltiges Repetitorium an Halbseidenem zitiert. Graf Boni, der junge Schwerenöter (Christoph Waltle gestaltet die Buffopartie als hinreißende Gratwanderung zwischen allen Schattierungen der Komik) lässt zum obligatorischen Frack und Zylinder die Hose missen: „In dem Reich der Schminke/ Vergnüglich ich versinke…“

Versinken – nicht nur vergnüglich – kann man auch in diesem ganzen ersten Akt in seiner zynischen Mischung aus Operettentragik, -rausch und absurdem Theater. Hilbrich hat die Texte gründlich neu konstruiert, mitunter die alten Phrasen gespenstisch brechend. Etwa wenn Bonis Dauer-Kalauer „Bin ich dein Freund?“ zur fundamentalen Dialog-Sequenz ausgebaut wird. Oder wenn das Ende der alten Operette in Europa in Textmontage-Technik zelebriert wird. Aus der Figur des Feri bácsi macht Hilbrich ein so gar nicht siamesisches Zwillingspaar, bei dem der eine dem anderen attestiert, er sei schon immer ein schlechter Operettenwitz gewesen. Wojciech Alicca übernimmt dabei beredt den traditionellen Part der Operettencharge, Victor Calero steigert sich geradezu unheimlich gut hinein in eine Art Allegorie des operettentypisch-Absurden: Und hinreißend tanzen kann er obendrein. Moira Fettermans Choreographie leistet da Außergewöhnliches, in ihrer Lust an Karikatur und Persiflage ebenso unaufdringlich wie allgegenwärtig. Die furiose „Ja so ein Teufelsweib“-Nummer hat das Zeug zum Kult: Besser kann man Operette nicht machen.

Doch da ist ja die Gegenwelt: die des Hochadels derer von Lippert-Weylersheim, die mit dem Tingeltangel gar nichts zu tun haben wollen und deshalb unter allen Umständen eine Heirat ihres Sohns Edwin mit Sylva unterbinden wollen. Frank Hilbrich will da offenbar so ganz nebenbei eine kleine Rechnung mit dem Operndünkel begleichen und lässt wotanische Wagnerianer-Witzfiguren im weißen Bühnennebel waltet, bekostümt aus dem Fundus wonniglicher Walhall-Welten. Sie bekommen bei Kálmáns Klängen Erstickungsanfälle, weshalb viel Wagner-Musik durch den zweiten Akt wabert. Hilbrich, der mit Wagner zumal in Freiburg so nachhaltig reüssiert hat, läuft da bei aller Komik zu sehr in die Falle des Selbstreferenziellen. So grandios-kurios Helga Eggert und Frank Albrecht das nach „nach lachender Lust lechzender Lippert-Weylersheim“-Fürstenpaar spielen und tanzen; so überzeugend Leon Rüttinger als ihr Sohn Eugen (eine kleine dramaturgische Veränderung Hilbrichs) immer wieder hinfallen muss; so herrlich hochdramatisch sich Sigrun Schell als Komtesse Stasi am „Machen wir’s den Schwalben nach“-Duett abarbeitet (um dann in der Operettenseligkeit aufzugehen): Irgendwann ist Kálmán zu sehr in die Ecke gedrängt (ganz abgesehen davon, dass die Streichung des Eröffnungswalzers einfach schade ist). Da hilft dann im Schlussakt nur noch der herrlich revitalisierte „Deus-ex-machina“-Effekt: Alle kommen der Reihe nach aus dem Bühnenschlund und wollen das Chaos beseitigen. Wie absurd ein Operetten-Happyend meist konstruiert ist, zeigt Hilbrich mit dem Auftritt eines Nashorns zum zweiten Finale.

Nashorn? Feri bácsi (der –wie immer doppelt – drinsteckt)? Kálmán? Schlag nach bei Ionesco. Heißt es nicht in dessen Stück „Die Nashörner“ (1954): „Die Nashörner singen, sie spielen, sie tanzen! Sie sind schön!“ Hilbrichs abschließender Beitrag zur Operettenlogik macht zumindest schmunzeln: Auf der leeren Bühne nur das Nashornkostüm. Und das Orchester, den ganzen Abend dort sichtbar platziert, spielt hinter dem Vorhang „Joj, Maman Bruderherz, ich kauf mir die Welt“ als Abschiedssinfonie in Endlosschleife…

Fantastisch machen sie das, die Damen und Herren des Philharmonischen Orchesters. Operettenschlendrian? Den gibt’s den ganzen Abend über nicht. Denn Dirigent Gerhard Markson (von der Maske in den Wiedergänger eines Ufa-Filmoperettenkapellmeisters verwandelt) lässt die Kálmán’schen Instrumentationsfeinheiten spüren, gerade in den subtilen, oft chromatischen Holzbläser-Durchgängen. Und bei den silbern klingenden Streichern – Konzertmeister Manuel Druminski darf so en passant auch mal mit Sarasates „Zigeunerweisen“ brillieren. Vor allem aber erstrahlt Kálmán durch die feinen Verzögerungen und Beschleunigungen. Und die Dynamik. Wie empfindsam ein Refrain wie „Mädel gibt es wunderfeine“ im Pianissimo klingen kann, zeigt der Abend ebenso wie das Berauschende der Csárdás-Musik, selbst dann, wenn sie Mendelssohn zitiert. Jana Havranová singt und spielt die Titelpartie mit Lust und Leidenschaft, weiß um das spielerische Changieren mit der Stimme.

Und dass Roberto Gionfriddo mit seinem ins Dramatische tendierenden, dunklen Tenor seinen Edwin so liebevoll differenziert gestaltet, zeigt: Die Sänger genießen die Operette, was übrigens auch für den klangsinnlichen, von Bernhard Moncado einstudierten Chor gilt. Und wohl auch das Publikum: Riesiger Schlussbeifall. Die Operette ist wohl wieder einmal nicht mehr so ganz tot. Untot träfe das Ganze schon besser.