Foto: Ensembleszene aus Jon Fosses "Meer" am Schauspiel Zürich © Matthias Horn
Text:Tobias Gerosa, am 18. Oktober 2015
Erst lange nichts – länger, als es Jon Fosses unzählige Pausen im Stücktext vorgeben würden. Halbdunkel, irgendwo in den Kulissen schattenhafte Figuren, wie zufällig. Zehnmal hängt, gediegen beleuchtet von je einem Spot, dasselbe Bild: Eine pastellene Seeszene, niederländisch, 17. Jahrhundert (Jan van Goyen, verrät das Programmheft). Viele Schiffe, aber auf Distanz nur Himmel und Meer, ineinander übergehend. Darauf vor allem kommt es an, wie beim refrainartig eingesetzten „Lied ohne Worte“ von Felix Mendelssohn Bartoldy auf den Titel. Vielleicht hätte Fosse für dieses, wie er sagt, letzte Sprechtheaterstück, am liebsten auch auf Worte verzichtet, so sehr kreist es um Unsagbares, obsessiv müssten man sagen, wenn das nicht viel zu aufgeregt klänge.
„Wie soll ich sagen / es ist irgendwie so wenig zu sagen / das was war / ist irgendwie nicht so / dass man es nicht sagen kann.“ Der ältere Mann drückt die sich nicht ändernde Grundsituation des Stückes treffend aus. Der Kapitän und der Gitarrenspieler sind am Anfang schon hier. Was und wo dieses Hier ist, bleibt auch für die Figuren unklar. Auf einem Schiff auf dem Meer, behauptet der Kapitän, weil schliesslich „bin ich der Kapitän“ sein Leitmotiv ist – wobei Stefan Kurt ihn mit weit aufgerissenen, ins Leere gerichteten Augen etwas Irres und Komödiantisches gibt.
Jirka Zett, sonst eine Energiebündel, ist als der ruhige, verunsicherte Gitarrenspieler – ja was eigentlich? Antagonist wäre genauso unzutreffend wie Sparringpartner. Er ist eben halt auch da. Er spielt seine Musik, anders als in der Vorlage, nicht einmal als Luftgitarrenübung. Und doch: Wer will, kann sie hören. Wie die junge Frau, die auftaucht (Henrike Johanna Jörissen). Oder hört sie nur, was sie hören will? So wie der junge Mann (Claudius Körber) in ihr wohl nur sieht, was er sehen will: Die junge Frau und der junge Mann also Projektionsflächen, genauso wie der ältere Mann und die ältere Frau (Susanne-Marie Wrage und Hans Kremer, die als solche wenig eigenes Profil entwickeln können) von allen als Eltern angesprochen werden, sich davor aber fürchten, es nicht hören oder wegrücken.
Hier deutet Regisseurin Barbara Frey aus, was Fosse gegen Schluss des sparsamen Stücks an sparsamen Regieanweisungen gibt. Die Figuren auf der Pfauenbühne wissen auf Muriel Gerstners Museumsbühne wohl nicht, wo sie sind, aber sie sehnen sich nach einem Gegenüber. Fein arbeitet Frey das durchaus überraschend zwischen Kapitän und Gitarrenspieler heraus. Aber gegen Ende auch in immer wieder anderen Konstellationen, durchaus zartbitter in einer Kuschelschlange mündend, die gleichzeitig Lächerlichkeit wie die Sehnsucht zeigt.
Frey hat den Text um einige Wiederholungen gekürzt, unterlegt den Verbleibenden zuerst eine immense Ruhe und Konzentration, nimmt ihm durch eine Drehung zum Absurden etwas Schwere.
Bettina Walters biedere Alltagskostüme betonen eine unspektakuläre Normalität, so bekommt das Sprechen ins Publikum – „wir sind auf dem Meer“, „hier ist niemand – hier sind viele Menschen“ eine Art umgekehrte dramatische Ironie: Betrachten die gar nicht das zehnte Meer-Bild an der vierten Wand, sondern uns? Wissen die da oben mehr als wir? Sind sie allenfalls einfach schon weiter? Geht es uns nicht genauso wie den Figuren da oben? Die Inszenierung entlässt ihr Publikum nach gerade einmal 70 konzentrierten Minuten wie verlassen in einem weiten, unbekannten Meer.