Foto: Olaf Weißenberg, Friedrich Witte, Andreas Seifert und Marie Dziomber in "Der goldene Topf" am Theater Heidelberg © Susanne Reichardt
Text:Manfred Jahnke, am 26. Februar 2023
Wie ein Mensch in seinen Wünschen und Zielen hin- und hergerissen wird, das führt E.T.A. Hoffmann in seinem Märchen „Der goldene Topf“ vor. Der Unglücksrabe Anselmus, der hoffend auf ein bescheidenes bürgerliches Glück über die Äpfel einer alten Frau stolpert, hört zufällig den sphärischen Gesang dreier grüner Schlänglein. Damit öffnet sich ihm eine neue Welt, zumal mit der Begegnung mit dem Archivarius Lindhorst, der ihn geheimnisvolle Schriften übersetzen lässt. Aber loslassen will die bürgerliche Welt ihren Kandidaten auch nicht, Veronika, die wie die Schlange Serpentina blaue Augen hat, in die sich Anselmus jeweils verliebt, kämpft mit Hilfe der Rauerin um ihn. Böse wie gute Kräfte zerren an ihm, bis er endlich mit Serpentina ein Rittergut im sagenhaften Atlantis bezieht.
Anselmus muss sich zwischen einer bürgerlichen oder einer poetischen Existenz entscheiden. Nach langem inneren Kampf, der im Spiel zwischen guten und bösen Kräften seinen äußeren Ausdruck findet, entscheidet er sich wie sein Schöpfer E.T.A. Hoffmann für das Phantastische. Der Bearbeiter der Fassung für das Theater Heidelberg, Jürgen Popig, lässt den Autor in zwei Szenen persönlich auftreten. Er benutzt dabei die Hinweise von Rüdiger Safranski: Dieser berichtet von einer Tagebuchnotiz aus dem Jahre 1813, in der Hoffmann beschreibt, wie er in Dresden mit Freunden weintrinkend beobachtet, wie eine Granate einen Menschen zerfetzt. Dieses Erlebnis soll dazu beigetragen haben, dass der Autor eine Konzeption entwickelte, in der Fantasie über das wirkliche Grauen regiert …
Jürgen Popig macht mit seiner Textfassung ein spannendes Angebot, mit dem die Regie von Holger Schultze wenig anfangen kann. Im psychedelisch angehauchten Raum von Marcel Keller setzt er auf ein historisierendes Kostümstück (Kostüme: Erika Landertinger) mit groß herausgeputzten Perücken. Wenn die bürgerliche Welt gezeigt wird, öffnen sich in der Mitte im Hintergrund zwei Wände und das Interieur wird herausgeschoben.
Fest der Schauspielkunst
Aufgemotzt wird diese Szenerie mit dem schicken Videodesign von Hanna Green, die nicht nur die fremden Schriften über die Leinwand laufen lässt. Dazu hat er mit Sarah Wissner eine kompetente Figurenspielerin geholt, deren Klappmaulpuppe, grau wie der Tod, einen starken Sog entwickelt, aber im schicken Design der Inszenierung verschwindet. Wichtiger als das dem Fantastischem zu Grunde liegenden Grauen ist Schultze schnulzige Schlagermusik (Musik: Günter Lehr), wobei die Nick-Cave Nummer „Green Eyes“ sich wohltuend abhebt.
Als Zuflucht bleibt, das Stück zu einem Fest der Schauspielerinnen und Schauspieler zu machen. Das gelingt in den bürgerlichen Rollen wunderbar. So wie Olaf Weißenberg als Konrektor Paul oder Friedrich Witte als Heerbrand auftreten, spürt man die Lust des Bürgerlichen. Daniel Friedl als Anselmus wird zu einer Figur, mit der gespielt wird, weil sie selbst nicht aktiv handelt. Wie ein Punchingball wird er zwischen den Fronten hin- und hergeworfen, aus eigener Kraft kann er sich nicht retten – dazu braucht es die Liebe, die wiederum lange Zeit zwischen Veronika und Serpentina schwankt.
Friedl spielt das mit großen Augen und körperlicher Tumbheit aus. Beide Frauenrollen übernimmt Marie Dziomber: Veronika mit blonder Perücke und im rot-pinken Kleid sexy getrimmt und Serpentina mit roter Perücke und im grün schimmernden Kleid. Als Veronika entwickelt sie wenig Energie, als Schlange hingegen wirkt sie verführerisch. Da sind die Sympathien von vornherein klar gesetzt, so dass der Spannungsbogen gering bleibt – auch wenn Elisabeth Auer als Liese den Widerpart des Guten heftig dagegen setzt und Veronika mitreißt. Triumph und Niederlage liegen nahe beieinander.
Hannah Green, Vladlena Sviatash und Sarah Wissner als Schlangen und Fabelwesen, sowie Günter Lehr am Keybord und Dirk Schilgen am Schlagzeug ergänzen das Ensemble. Über weite Strecken ist diese Inszenierung sehr laut. Dagegen hebt sich Andreas Seifert in seiner Doppelrolle als E.T.A. Hoffmann (der bei seinen Auftritten durch den Zuschauerraum kommt) und Archivarius Lindhorst wohltuend ab. Wie er mit fast erloschener Stimme seine Geschichte von der Feuerlilie erzählt, wie er mit traurigen Augen auf diese Welt schaut, gelingt ihm wunderbar. Er spielt so intensiv, dass das Konzept von Popig schlüssig wird: In „Der goldenen Topf“ hat der Dichter, der selbst lange zwischen Jura und der fantastischen Welt hin- und herschwankte, sein eigenes Problem formuliert – und seine Entscheidung für die Kunst gefunden.