Foto: Ensemble © Martin Kaufhold
Text:Konstanze Führlbeck, am 13. Februar 2024
Das Regieteam Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka stellte seine Version der „Walküre“ im Rahmen von Richard Wagners apokalyptischer Endzeitvision vor, in der die Genforschung unkontrollierbar geworden ist und Göttervater Wotan sich seine eigenen Geschöpfe im Labor erschafft. Vereinzelte Buh-Rufe gingen in Jubel und Standing Ovations unter.
Die erste Szene greift den Cliffhanger auf, mit dem „Rheingold“ vor anderthalb Jahren am Saarländischen Staatstheater endete: Nach den zahllosen Experimenten, in denen Wotan (Thomas Johannes Mayer) das Serum der Supermacht zu finden hofft, mit dem er die Schöpfung über Genforschung kontrollieren will und das für Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka den „Ring“ als Symbol absoluter Macht ersetzt, konnte man gegen Ende noch die Geburt von Zwillingen sehen, die aber sofort getrennt wurden.
Hier setzt das Regieteam in der „Walküre“ wieder ein: Siegmund (Peter Sonn) und Sieglinde (Viktorija Kaminskaite) finden sich in zwei separaten Räumen wieder, in denen Wissenschaftler um Dr. Hunding (Hiroshi Matsui), Dr. Freia (Elizabeth Wiles) und Loge (Mario Ferrber) ihnen Erinnerungen implantieren und sie so zu manipulieren und konditionieren versuchen. Beide bäumen sich gegen den erzwungenen Datentransfer des Programms „Waelse“ auf, während man darüber Wotans Versuchslabor sieht, dessen Monitore alles überwachen. Siegmund und Sieglinde kommen sich näher, sie erkennen sich in zutiefst anrührenden Szenen und fliehen, doch ihr Ausbruch führt sie nicht in die ersehnte Freiheit.
Phase II des Experiments startet, Wotan versucht sich als Demiurg, aber seine Geschöpfe funktionieren nicht, wie sie sollen. Warum das so ist, macht ihm seine Frau Fricka (Judith Braun) klar, als sie Siegmunds Leben von ihm fordert, weil er durch Ehebruch und Inzest ihre Gesetze verletzt hat. Zutiefst getroffen wird Wotan der Widerspruch in seinem Tun, seine nur scheinbar „freien“ Geschöpfe als Handlanger für Aktionen einzusetzen, die ihm selbst verboten sind, im Zwiegespräch mit Brünnhilfe (Aile Asszonyi) bewusst.
Wotans diktatorische Gesellschaft
Der Auftritt Frickas unterbricht Wotans Schachspiel mit den Walküren, sein großer Monolog findet an einem weißen, sich zunehmend bläulich eindunkelnden Tisch auf einem hellen Podium statt und weckt sofort Vergleiche mit einer Therapiesitzung, zumal Brünnhilde ihm dabei gegenübersitzt. Doch auch Brünnhilde, ebenso wie die anderen Walküren seine uneheliche Tochter, lehnt sich gegen Wotan auf und versucht, Siegmund und Sieglinde zu retten. Siegmund wird von Wotan getötet, während Brünnhilde die schwangere Sieglinde retten kann und ihrem Vater das Zugeständnis abringt, dass nur „ein furchtlos freiester Held“ sie nach dem Verlust ihrer Göttlichkeit durch eine lebensgefährliche Mutprobe zur Frau gewinnen kann.
Wie besitzergreifend die diktatorische Gesellschaft Wotans ist, wird in den in puristischem Schwarz-Weiß gehaltenen Kostümen, oft Overalls, deutlich, die in Farbe und Schnitt genauso uniform sind wie die superblonden asymmetrischen Frisuren. Genauso stringent und klar ist die Personenführung, die bis in kleinste Details stimmig durchdacht und immer psychologisch motiviert ist. Auch die Räume, die durch Simultanbühnen und den Einsatz der Drehbühne schnell wechseln können, zeichnen sich durch ein klares, intelligentes Konzept aus.
Brünnhilde wird in einen gläsernen Sarkophag gebettet, der mit den letzten Takten hinter einem Portal verschwindet, ein Prozess, der natürlich vom Wissenschaftlerteam Dr. Hunding, Dr. Freia, Loge und Fricka dokumentiert werden muss. Auf Wälses Schwert, Wotans Speer und die Flammen des Feuerzaubers wartet man vergeblich, doch Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka können ihre Geschichte auch ohne solche Symbole beziehungsweise Requisiten packend und überzeugend erzählen.
Musikalisches Highlight
Auch musikalisch ist die Saarbrücker „Walküre“ ein absolutes Highlight. Sébastien Rouland führt das ungemein flexibel agierende Staatsorchester sehr schlank, kammermusikalische Transparenz lässt nicht nur feinste thematische Verästelungen und Ausdrucksnuancen gut zur Geltung kommen, sondern auch Raum für die Sänger-Darsteller. Hier fällt die Interpretation von Peter Sonn auf, der für Siegmund ungewohnt lyrische Töne ohne falsches Heldenpathos findet, die diesen Charakter in seiner Ambivalenz und Zerbrechlichkeit zeigen. Viktorija Kaminskaites Sieglinde findet nach und nach zu jugendlich-dramatischer Ausdruckskraft, Thomas Johannes Mayer ist ein Wotan, der sich seiner zunehmend bröckelnden Autorität schmerzlich bewusst wird.
Mit hochdramatischer Klangfülle bei voller Textverständlichkeit in Verbindung mit souveränem Spiel brilliert die lettische Gastsopranistin Aile Asszonyi. Judith Braun als Fricka und Hiroshi Matsui als Dr. Hunding runden das spielfreudige Ensemble ab. Insgesamt herrschte auf der Bühne Spannung von der ersten bis zur letzten Minute; Spiel, Bühne und Musik griffen Hand in Hand ineinander über in dieser unbedingt sehenswerten Inszenierung.