Szene aus Wagners früher Oper "Das Liebesverbot" bem Bustan Festival in Beirut.

Wagner mit dem Schlagbohrer

Richard Wagner: Das Liebesverbot

Theater:Al Bustan Festival, Premiere:08.03.2013Regie:Dmitry BertmanMusikalische Leitung:Vladimir Ponkin

Dieses „Liebesverbot“ dürfte die wohl skurrilste Aufführung im Wagnerjubeljahr sein, eine in unseren Breiten kaum gespielte Jugendsünde des Bayreuther Meisters, von der Moskauer _Helikon Oper_ in der libanesischen Hauptstadt Beirut auf die kleine Bühne eines großen Luxushotels gewuchtet. Das Hotel heißt _Al Bustan_ (zu Deutsch „der Garten“). Jedes Frühjahr blühen hier fünf Wochen lang unterschiedlichste musikalische Pflanzen, einheimische Töne sind rar, das meiste wird aus Europa importiert. Beim Blick auf das nur 450 Zuschauer fassende Auditorium denkt man unweigerlich an das Wagner-Festival im österreichischen Wels, wo es ja ebenfalls gleich vom Hotelzimmer oder der Bar aus ins Theater geht. Freilich hat Wels ein spezielles „Reinheitsgebot“: jegliches „Regisseurstheater“ ist absolut verpönt.

Mit dem Beiruter/Moskauer „Liebesverbot“ wäre man in Wels deshalb sicher nicht zufrieden, denn Regisseur Dmitry Bertman inszeniert zwar nicht wirklich gegen den Strich, aber manches wirkt wie auf dem Strich. Viel nackte Haut beiderlei Geschlechts ist zu sehen, wobei die Russen sogar eine entschärfte Version für Beirut entwickelten, was Festivalpräsidentin Myrna Bustani nicht akzeptieren wollte. Nein, im Libanon gehe es doch sehr liberal zu. Frau Bustani war es dann auch, die an einer locker frischen Übersetzung der Texte mitwirkte, denn obwohl das „Liebesverbot“ nur ein einziges Mal aufgeführt wird, gibt es Übertitel auf Englisch und Französisch.

Wagners zweite Oper ist eigentlich seine erste richtige (sein Debüt „Die Feen“ wurde postum uraufgeführt); er schrieb das Stück mit 22 Jahren. Wagner war zu der Zeit Musikdirektor in Magdeburg und setzte es dort auf den Spielplan. Es gab lediglich eine Aufführung, kurz vor Beginn der (schlecht besuchten) zweiten Vorstellung bekriegten sich mehrere Sänger hinter der Bühne, und man brach gleich die ganze Serie ab. Später distanzierte sich Wagner vehement von seinem Frühwerk, er schenkte die Partitur aber immerhin König Ludwig II. Generationen später riss sich Adolf Hitler die Noten unter den Nagel, danach verschwanden sie in den Wirren des Zweiten Weltkriegs.

Musikalisch erfindet Wagner hier keine neue Welt. Statt einem Gesamtkunstwerk aus Text, leitmotivischer Musik und Bühnenvisionen gibt es sehr solides Handwerk und immerhin den Versuch, aus französischer Grand Opéra und italienischem Buffomaterial etwas genuin Drittes zu gewinnen. Ob man diese Mélange unbedingt so krachledern-derb wie Vladimir Ponkin dirigieren muss, darüber lässt sich diskutieren. Auf jeden Fall steckt einen der hektische Klangzirkus rasch an und die oft groben Intonationen eigentlich sämtlicher Orchestergruppen fallen nicht weiter ins Gewicht. Auch Solistenensemble und Chor werfen sich mit voller Wucht ins Geschehen, völlig wurscht, dass hier meist in einer kryptischen Fantasiesprache gesungen wird. Wagner schrieb den Text zum Liebesverbot natürlich selbst, es ist eine Bearbeitung von Shakespeares „Maß für Maß“. Ein trübsinniger Statthalter verbietet Spaß und Frohsinn und sogar sämtliche Amouren, was – natürlich! – rasch zu umso ausuferndem Tohuwabohu führt. Man stellt dem Liebesverhinderer eine Liebesfalle, in die er prompt tölpelhaft tappt, danach stürzen sich alle in einen immerwährenden Karneval. Wagner geht dabei weit über Shakespeare – hinaus oder vielmehr, Grimassen schneidend, an ihm vorbei. Statt einem eher behaglichen frohen Ende beim Elisabethaner feiert der Sachse fröhlich die Anarchie.

Dmitry Bertman tut das genau dasselbe und gibt dem Affen allen nur erdenklichen Zucker. Der Statthalter ist ein Bauherr, dessen Konstruktionspläne eine bunte Truppe von Hausbesetzern vereiteln. Am Ende werden alle zu Hausbesitzern und, die Fete geht erst so richtig los. Dirigent Ponkin macht da gerne mit und ‚dirigiert‘ streckenweise mit einer voll aufgedrehten Bohrmaschine, während das Publikum wiederum sehr an die Shakespeare-Zeit erinnert: man kommt zu spät, geht wieder, unterhält sich, faltet Papierchen. Alles passt ganz einfach herrlich zusammen

Das Al Bustan Festival ist eine sehr ungewöhnliche Einrichtung in der Region und besitzt mit der Opernsparte, so klein sie auch sein mag, ein Alleinstellungsmerkmal. Im ehemaligen Beiruter Opernhaus – mitten im Stadtzentrum – befindet sich nun ein Plattenladen, man erkennt noch die Bühne und den Zuschauerraum sowie den Balkon. Von dort aus beschallen blecherne Jazzklänge oder Lady Gaga-Beats das gesamte Gebäude, während freundliche Verkäufer einen mit „You’re welcome, You’re welcome!“ zum Einkauf animieren möchten.