Foto: Richard Wagners "Die Feen" am Theater Regensburg. Charles Kim und Michaela Schneider © Martin Sigmund
Text:Wolf-Dieter Peter, am 27. Januar 2014
So lange ein Genie noch jung ist und dementsprechend „nur“ genialisch, ist es schwer mit ihm. Da mischt es Könige, Helden, Krieger, Verräter, Liebende, allerlei Feen und einen Geisterkönig in bester romantischer Manier, also in realen, halb wahnsinnigen und geisterhaften Handlungszügen durcheinander – und das gleich viereinhalb Musikstunden lang.
„Wenn Sie wüssten, welches Genie Sie abweisen, würden Sie auf den Knien dafür danken, dass ich Ihnen diese Oper anbiete“, schrieb der 21jährige Chordirigent an den Intendanten der Leipziger Oper, der den Erstling abgelehnt hatte – über so viel Selbstbewusstsein verfügte nur einer: Richard Wagner.
Das 1834 fertig gestellte Musikdrama „Die Feen“ wurde von Wagner selbst nicht in den Kanon der für Bayreuth bestimmten Werke aufgenommen. Seither hat es das Opus schwer. Gleichsam als Nachklang zum Jubiläumsjahr 2013 hat sich das Theater Regensburg an „Die Feen“ gewagt. Zunächst wurden die drei Akte vom Produktionsteam Musik-Regie-Dramaturgie auf eine Spieldauer von gut zweieinhalb Stunden zusammengestrichen, so etwa das Buffo-Liebespaar drastisch und etliche für unser Zeitgefühl umständlich lange Argumentationsszenen gekürzt – wobei Dirigent Arne Willimczik die dramatische Spannweite des Frühwerks dennoch überzeugend lebendig werden ließ. Wesentliches und Zukunftweisendes wurde – auch über die Premieren-nervösen und am Ende wohl auch erschöpften Blechbläser hinaus – Klang: nicht nur Passagen, die auf „Lohengrin“, „Tannhäuser“ und „Walküre“ „voraus-weisen“ oder auch mal an Weber oder Marschner „erinnern“, sondern auch Wagners Sinn für dramatische Momente und Steigerungen, die Besonderheit, dass der heldische Tenor auch in mezza-voce-Phrasen hochexpressiv wirken kann – und dass im 3. Akt ein Solistenquintett und ein großer Chor „a capella“ einen Höhepunkt setzen: Bravi – einschließlich Chordirigent Alistair Lilley!
Ebenso beeindruckend ist die konzeptionelle Arbeit, die Regisseur Uwe Schwarz und Dramaturgin Eva Maskus geleistet haben. Wagner hat ein Märchen-Handlungskostüm gewählt: Königssohn Arindal hat eine Hirschin erlegt – die Feenprinzessin Ada; aus ihrer, alle Standes-Bindungen abstreifender Liebe sind schon zwei Kinder erwachsen, da werden beide von jeweiligen „Pflichten“ in ihre Sphären zurückgerufen: Ada soll Königin werden, Arindal muss nach des Vaters Tod das Königreich vor Feinden retten; Wiederkehr und Sieg sind von Seiten Adas an ein Frage- und Verfluchungsverbot gebunden; Arindal scheitert in beidem; Ada muss versteinern – doch ein guter Geist erinnert den darüber wahnsinnig gewordenen Arindal an Schild, Schwert – und Harfe! Damit gewinnt er: in und durch die Macht der Musik!
Aus all dem hat das Bühnenteam eine Quintessenz gefiltert: Ein grantig-gelangweilter Inspizient am Bühnenrand lässt einen Theaterabend beginnen; auf dem Zwischenvorhang beginnt ein gelbes „W“ zu kreisen, das sich (aus der „M“-Initiale einer bekannten Burgermarke) in ein „?“ wandelt: Wagner also als weltweit vermarktete „Ware“ – und dazu erscheint hinter einem projizierten Wagner-Kopf das Festspielhaus, dazu der Defilee-Rummel der Festspieleröffnung samt Eva und Katharina Wagner; Arindal betritt die Bühne in der Maske des jungen Wagner mit Samtbarett – und der Partitur der „Feen“; er will hinein in seinen „Traum“, doch aus der Fassadentür des Festspielhauses treten ihm die weißgewandeten Feen Farzuana (Vera Egorova) und Zemina (Gesche Geier) in der Maske von Eva und Katharina abweisend entgegen; dann schwenkt die Drehbühne und die Rückseite des Festspielfassade ist ein banales Theater – beides will Arindal-Wagner erobern. Damit ist eine doppelte Spielebene etabliert, die Ausstatterin Dorit Lievenbrück und Regisseur Schwarz reizvoll und vielfach überraschend „bedienen“ und in Kostümen wie Masken auf Figuren in Wagners Lebensumfeld Bezug nehmen. Auf einem zweiten Drehring fahren zusätzliche Requisiten herein und heraus. Die Kämpfe der Märchenhandlung sind zu Recht in Wagners Begeisterung für und Politisierung durch die 1830er Revolution umgeformt – nur die demokratischen Farben „Schwarz-Rot-Gold“ gehören eigentlich erst zu 1848. Für Arindal-Wagners siegreichen Kampf um Ada wandelt sich der Inspizient in den hilfreichen „(Theater-) Geist Groma“, der „Schild, Schwert und Harfe“ überreicht, und dann überlagern sich auf dem durchsichtigen Zwischenvorhang der Drachenkampf Jung-Siegfrieds aus Fritz Langs „Nibelungen-Film“, Jugendstil-Bilder von Walküren und die Fackelkönigin des Paramount-Filmvorspanns – ja, Wagner wäre heute in Hollywood! Ada wandelt sich am Ende zur lebenden Ikone aller Wagner-Frauen von Senta bis Isolde – und da Arindal-Wagner mit seiner Kunst gesiegt hat, wird er als „Unsterblicher“ vor dem Festspielhaus inthronisiert – zwei Plastikbüsten Ottmar Hörls aus dem Jubiläumsjahr 2013 flankieren ihn. Diese intellektuell wie spielerisch fordernde Inszenierung bewältigten alle Solisten beachtlich: voran Michaela Schneider, sie sang sich als Ada zunehmend warm und höhensicher; Charles Kim meisterte aus schönem Piano und guter Mittellage heraus die Heldentenor-Anforderungen an Arindal bewundernswert. Schlägt der Musikfreund nach, wann welche Werke Wagners als „unspielbar“ abgelehnt wurden – oft sogar nach einer Vielzahl von Proben, dann ist die Regensburger Aufführung wieder einmal ein Beleg dafür, was die Bühne einer Stadt, was die einzigartige deutsche Theaterlandschaft zu leisten im Stande ist: Bravi!